Neu! – Neu! Neu! – Neu! 2 Neu! – Neu! 75 :: Krautrock
Am Anfang waren Kraftwerk. Ein gutes Jahr lang,von Herbst 1970 bis Ende 1971, spielten Michael Rother (Gitarre, Bass, Keyboards) und Klaus Dinger (Schlagzeug, Gitarre, Keyboards, Gesang) bei den damals noch äußerst experimentierfreudigen Düsseldorfer Elektronikern. Ein Streit um die musikalische Richtung führte schon bald zur Trennung. „Man kann die Gründe (…) nachvollziehen, wenn man das zweite Kraftwerk-Album mit dem ersten Neu!-Album vergleicht. KRAFTWERK 2: eine ruhige Wohnzimmeratmosphäre, Neu!: treibender und härter“, erklärte Michael Rother im Interview mit dem MUSIKEXPRESS im Februar. Dinger und Rother gingen nach dem Bruch mit Kraftwerk zusammen mit dem legendären Toningenieur und Produzenten Conny Plank (Devo, Eurythmics, Ideal, Killing Joke, Ultravox) ins Studio, um in der Rekordzeit von nur vier Tagen, oder besser: Nächten, ein Album aufzunehmen. Das Ergebnis, Neu!, 6 Sterne, ursprünglich auf „Brain“, dem Krautrock-Label der damaligen Zeit, erschienen, erwies sich als atemberaubende Mixtur aus minimalistischen Improvisationen, ambienten Soundflächen, Feedback, Loops und Naturgeräuschen. Michael Rothers Gitarre tönte mal melodisch, mal metallisch-kreissägend, und Klaus Dinger beeindruckte mit seinem charakteristischen Schlagzeugspiel. Von jenem trancear tigen „Dinger-Beat“,der am besten in den beiden Stücken „Hallogallo“ und „Lieber Honig“ nachzuhören ist, war Brian Eno derart hingerissen, dass er einmal euphorisch zu Protokoll gab: „In den Siebzigern gab es drei großartige Rhythmen: Fela Kutis Afrobeat, James Browns Funk und Klaus Dingers Neu!-Beat.“ Neu! verkaufte sich extrem gut für ein Album mit experimentellem Krautrock. Es ging allein in Deutschland 30.000 Mal über die Ladentische und hatte eine nachhaltige Wirkung auf die elektronisch-experimentellen Musiker des ausgehenden Jahrhunderts. 1973 gingen Dinger und Rother ins Studio, um den Nachfolger Neu! 2, 4 Sterne, aufzunehmen. Das Album begann mit „Für immer“, einer unverhohlenen Reminiszenz an den Neu!-„Hit“ „Hallogallo“. Während der Aufnahmen ging den Musikern auf halber Strecke das Geld für die Studiomiete aus. Um die zweite Seite der Platte mit Anstand zu füllen, entschlossen sich die beiden, die Singles „Super“ und „Neuschnee“, die sie bereits vorher aufgenommen hatten, in unterschiedlichen Geschwindigkeiten zu „remixen“. Das Ergebnis klang ebenso seltsam wie herausfordernd. Nach Veröffentlichung ihres zweiten Albums gingen Rother und Dinger zunächst getrennte Wege. Ersterer tat sich mit Dieter Moebius und Joachim Roedelius von Cluster zum Trio Harmonia zusammen, Letzterer produzierte die kurzlebige Band Lilac Angels. Um den Vertrag mit dem Brain-Label zu erfüllen, kamen Neul im Dezember 1974 noch einmal zusammen, um ein letztes Album einzuspielen. Neu! 75, 5 Sterne, bestand aus zwei musikalisch unterschiedlichen Seiten. Die erste Hälfte der LP enthielt melodisch-meditative Stücke, die hauptsächlich auf Michael Rothers Konto gingen. Auf der zweiten Seite lieferte das Duo – unterstützt von Dingers BruderThomas und dem Schlagzeuger Hans Lampe – eine Art Proto-Punk („Hereo“, „After Eight“), der die folgenschwerste musikalische Entwicklung der siebziger Jahre um zwei Jahre vorwegnahm. Nachdem Neu! 75 veröffentlicht wurde, kam es zur zweiten Trennung der Band. Michael Rother startete eine Solokarierre.die ihm schon bald einen Achtungserfolg mit der Musik zum Kinofilm „Flammende Herzen“ einbrachte. Klaus Dinger gründete zusammen mit seinem Bruder und Hans Lampe die Band La Düsseldorf, die exakt da weitermachte, wo die zweite Seite des Neu! 75-Albums aufgehört hatte. Während die drei Neu!-LPs bis Ende der siebziger Jahre noch selbst in jedem gut sortierten Elektrogeschäft in der Provinz erhältlich waren, verschwanden sie in der Folgezeit komplett von der Bildfläche und wurden – vor allem im Ausland – zu gesuchten Sammlerstücken. Klaus Dinger und Michael Rother bekamen in den folgenden Jahrzehnten immer wieder Angebote zur Wiederveröffentlichung der Alben. Die unterschiedlichsten Plattenfirmen-von Daniel Millers Mute über Motor Music bis hin zu Virgin – buhlten um die Gunst der beiden gegensätzlichen Charaktere. Vergeblich. Erst Herbert Grönemeyer brachte das Kunststück fertig, die beiden mittlerweile als Streithähne verschrienen Musiker an einen Tisch zu setzen und für sein Label Grönland unter Vertrag zu nehmen. Der Einfluss von Neu! kann rückblickend nicht hoch genug eingeschätzt werden. Die Band hinterließ – vor allem in den neunziger Jahren – tiefe Spuren in der Musikwelt. So unterschiedliche Acts wie Stereolab, Sonic Youth, Tortoise, Kreidler, The Young Gods, Radiohead oder Blur beziehen sich in ihrer Musik auf das Duo aus Düsseldorf. Und Blur-Sänger Dämon Albarn gerät beim Gedanken an Dinger und Rother sogar ins Schwärmen: „Wenn ich mir Neu! anhöre, dann denke ich an ein Deutschland, in dem die Autobahnen aus tausenden Meilen von weißem Sand bestehen und wo die Sound Systems in den Bananenbäumen hängen – nicht an Radarfallen und Bratwürste.“
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