JJ72 :: Düster-Pop
Begeisterung ist eine gefährliche Krankheit. Fragt man den Befallenen nach der Ursache, ertönt in den meisten Fällen nur hilfloses und unzusammenhängendes Gestammel, ehe der Begeisterte zu einem Veitstanz ansetzt: überzeugen! überzeugen! überzeugen! will er. Dem geht man besser aus dem Weg, indem man sich den Dingen, die Begeisterung auslösen können, nüchtern und analytisch nähert. Ich habe eine kühle schwarze Papphülle erhalten, in der ein Tonträger steckt. Hinten drauf sind die Gesichter dreier junger Leute abgebildet, die mich nicht besonders fröhlich, aber auch nicht besonders böse ansehen – etwa so, als wäre ich schon wieder so ein Regentag im Herbst. Das Album enthält zwölf Songs, und weil mich aufgrund gewisser poetischer Rezeptoren Songtitel wie „October Swimmer“, „Oxygen“, „Algeria“ oder „Long Way South“ ansprechen, lege ich die CD nicht auf den Wartestapel, sondern ein in den Player. Und eine knappe Minute später bin ich ein anderer Mensch: Einer, der sich mit beiden Händen in den Teppich krallt, weil er Angst hat, von dem Strom aus Tränen und Erinnerungen weggeschwemmt zu werden, der plötzlich auf ihn niederbricht. Der sich in einer seltsamen Mischung windet aus tiefster Depression und dem Glauben, die ganze Welt mit einer Hand bis zu den Quasaren hinausschleudern zu können. Den dieses verzweifelte Kratzen, dieses feminin tremolierende Zittern in Mark Greaneys Stimme berührt wie eine eiskalte Flamme. Einer, der noch nie erklären konnte, warum für ihn die Popmusik mit Roxy Musics „Song For Europe“ beginnt, mit David Bowies „Heroes“ weitergeht und mit den jeweils zweiten Alben von Suede und Placebo offenbar doch noch nicht zu Ende ist. JJ72 kommen aus Dublin, aber sie sind die un-irischste Band, die ich seit langem gehört habe. So elegant wird am Liffey sonst nicht gelitten. Und ich weiß, das ist nur hilfloses und unzusammenhängendes Gestammel. Wie eingangs erwähnt: eine gefährliche Krankheit. Und JJ72 ist auch eine gefährliche Platte: Wer sie in Zeiten existenzieller Krisen hört, wird sie später nie mehr hören dürfen. www.JJ71.com
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