Potter-Mania
Am Anfang ist das Misstrauen groß. Zumindest wenn man nicht zu jenen Zeitgenossen zählt, die jeden Trend zwanghaft supi finden und widerspruchslos mitmachen. Man könnte ja was verpassen, dann kann man nicht mehr mitreden und alle finden einen blöd. So läuft das doch, oder? Aber sofern man sein Gehirn nicht während einer RTL-Werbepause unauffindbar verlegt hat, schrillen jedenfalls die Alarmglocken, wenn das kollektive Fieber ausbricht. Und das äußerte sich spätestens im Oktober 2000 folgendermaßen: „Man muss Harry Potter lesen.“
Soso, muss man? Nein, man muss nicht, aber man sollte. Denn die Überraschung ist so groß wie freudig, wenn man feststellen darf, dass die Potter-Mania nicht auf genialen Marketingkonzepten beruht, sondern auf unzweifelhafter Qualität. Ob Harry Potter und der Stein der Weisen“, also Band 1, oder „Harry Potter und der Feuerkelch“, der vierte und bislang letzte Teil: geniale Story, wunderbar erzählt.
Mögen gelehrte Menschen zu Recht bejubeln, dass es der Autorin Joanne Kathleen Rowling (35) mit ihrem Zauberlehrling Harry Potter gelungen ist, Kids vom Computer-Ballerspiel und Pokemon-Overkill wegzulocken, dass ihre Fantasiewelt ein Spiegelbild der Klassengesellschaft sei, mitsamt antirassistischer Message (man denke nur an die dummdreiste Fascho-Backe Draco Malfoy und seine tumben Schläger): Harry Potter ist Generationen übergreifende Lektüre und reiht sich nahtlos ein in den Reigen der Kult-Zyklen wie „Der Herr der Ringe“ oder „Per Anhalter durch die Galaxis“. Stimmt alles. Harry Potter ist dies und das, aber vor allem hochgradig unterhaltsame Lektüre. Und noch dazu unerhört erfolgreich: Die Bände 1 bis 3 verkauften sich in Deutschland über 3,5 Millionen Mal, Band 4 wurde in 1,3 Millionen Exemplaren an den Buchhandel ausgeliefert. Das bedeutet Spitzenpositionen in den Bestsellerlisten und für den Carlsen Verlag, bei dem die Potter-Bände erscheinen, ein Umsatzplus von 50 Millionen Mark. Dass deutsche Buchläden auf das Ladenschlussgesetz pfeifen und zu nachtschlafender Zeit öffnen, um dem Ansturm gerecht zu werden, erlebt man jedenfalls auch nicht alle Tage.
Potter-Parties sind bestens besucht, im kommenden Herbst erscheint der Film zum Buch, und es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Rennbesen „Nimbus 2001“ und „Feuerblitz“ in den Schaufenstern der Spielwarenläden auftauchen. Oder doch lieber ein abwaschbares Tattoo von Harrys blitzförmiger Narbe, die ihm einst der böse Voldemort verpasste? Oder wortgesteuerte Zauberstäbe, die auf den Befehl „Lumos!“ einen fahlen Lichtstrahl entsenden? Hoffentlich machen Kinoversion und Merchandising-Offensive nicht zu viel von dem zunichte, was Joanne K. Rowling seit 1997 erschaffen hat: ein magisches Paralleluniversum mit britisch-romantischem Einschlag, zu dem Hollywoods Glamour und überteuertes Plastikspielzeug schlichtweg nicht passen.
Es gibt aber auch eine rundum gute Nachricht: Zwar fand Frau Rowling nicht die Zeit, der Frankfurter Buchmesse im Herbst 2000 einen Besuch abzustatten, da sie bis zum Frühjahr 2001 komplett ausgebucht ist, aber immerhin arbeitet sie bereits am fünften Band, der irgendwann im Laufe des Jahres 2002 erscheinen wird. Angeblicher Titel des Werks: „Harry Potter und der Orden des Phönix“. Insgesamt sieben Bände sind in Planung, was logisch erscheint, denn immerhin ist die Sieben ja eine magische Zahl. Neun und Dreizehn aber auch. Hoffentlich weiß das Frau Rowling. www.harrypotter.de.
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