Beck – Midnite Vultures
Da geht s ja schon los: MUTATIONS, mal eben eines der formidabelsten Alben des letzten Jahres, sollte eine Art Interims-Platte sein, eine kleine Country-Fingerübung vor dem nächsten, „richtigen“ Beck-Album. Jetzt ist es da – was durfte man erwarten? Ein Meisterwerk oder was? Äh… ja. Und zwar von dem schwärzesten Beck, den es je gab. Marvin Gaye, heißt es, soll vor den Aufnahmen zu WHAT’S COING ON? stundenlang onaniert haben, um jeglichen Sexualtrieb abzustellen. Beck, könnte man mutmaßen, wollte alles Sentiment, die Country-Seele, eines der Herzen, die ach! in seiner Brust pochen, auslagern auf MUTATIONS, um hier seine funky Seite vollends freizulegen und so richtig die Körpersäfte fließen zu lassen – funky Soul-Beck gonna sex you up! Man wird dann feststellen, daß auch MIDNITE VULTURES Gefühle haben und der, der sich hier als brünftiger Loverman geriert, doch vor allem ein Bayyy-beee hat: die Musik. Und für diese seine größte Liebe hat Beck, der alte Charmeur, nicht nur einmal mehr alle Genregrenzen gesprengt, sondern mal wieder den Begriff Eklektizismus neu herausgeputzt. Eine solche musikalische Tiefe, Schicht um Schicht, Ebene um Ebene, tut sich hier unter der funky Oberfläche auf, daß man MIDNITE VULTURES, dieses missing link zwischen schwarzer Schwitzigkeit und Whitey-Klangbastler-Nerdtum sowieso erst glaubt, wenn man sie wieder und wieder gehört hat – let Beck make sweet lurrrve 2 U! Da ist“Sexxlaws“ mit flott loströtenden R’n’B-Bläsern über vertracktem Funk-Beat, die Blues Brothers grüßen, „I’m a full grown man, but I’m not afraid to cry“,jault Beck über extatische Soulheuler- und dann biegt seitlich plötzlich dieses Banjo ein und plinkert fröhlich mit, als wäre es hier zu Hause. Das unfaßliche „Nicotine & Gravy“ pumpt schwer schwülstig los, pendelt zwischen dunklem Funk und schicksalshaft schwelenden Streicherpassagen, und immer noch ein Sample, ein Scratch, ein elektronisches Plink, ein analoges Plonk purzelt aus den Ritzen, während das Arrangement Haken schlägt, ausufert, zusammenläuft und im pluckernden Finale ein paar verrückte Araber eine Oriental-Jazzsession drüberlegen.“Mixed Bizness“ funkt fetter als der gesamte Paisley Park dieser Tage, „Get Real Paid“ ist eine fiebrig-elektronische 8o’s-Fantasie, der Song, den Kraftwerk gemacht hätten, hätten sie Eier gehabt. Im hiphoppenden „Hlwd. Freaks“ gibt Rap-Beck den coolen El Lay-Checker („Yeah, I make some business with leather“) im Sample-Märchenland, crazy Kokain-Lachen leitet über zum Gitarrenriff von „Peaches & Cream“ und The Artist Formerly Known As Beck falsettiert „I’m gonna let you down easy, I have a delicate touch“.“Milk & Honey“ (to be played at maximum volume, wie man sagt) droht vor halsbrecherisch schliddernder Backward-Sounds, 80’s-Keyboards und Videospiel-Ouietschen fast zu zerbersten, bevor es in Psycho-Folk à la MUTATIONS kippt. Das sanft shuffelnde „Beautiful Way“ könnte mit Piano, Slidegitarren und „Ba-ba-baaaa“-Chören eben von dieser Platte stammen, während „Pressure Zone“, eine Portion Glam-Elektro mit Roxy Music-Piano, Bratgitarre, Moog und Tribal Drums im Auslauf nochmal Druck macht. Bis Herr Hanson uns dann mit „Debra“, dem schwülstigsten Stück Soul-Crooning, das Prince nie gemacht hat („You drive me craay-zaayyy, giirrll“, quiekt er wie ein liebeskranker Kater mit den Klöten in der Tür), in die Heia schickt. Was ist MIDNITE VULTURES? Prog-Soul? Klang-Völlerei? Die Platte, die „Cleverness“ ihren guten Namen zurückgibt? Auf jeden Fall die tanzbarste Kopfhörermusik seit Menschengedenken.
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