Reine Nervensache :: Film des Monats:
Den good fellow im Good Fella finden: seit DER PATE durften wir uns immer wieder mit den Seelenzuständen sizilianisch-stämmiger Vollblutpsychopathen – von der Führungsspitze (wie eben in CoppolasTrilogie) über die Exekutive (Scorseses GOODFELLAS) bis zum Fußvolk (HEXENKESSEL, DONNIE BRASCO) – auseinandersetzen. Angesiedelt im Spannungsfeld zwischen Spaghetti bei Mama und Kopfschuß in einer dunklen Gasse, erfuhr man alles, wirklich alles, über Mafia, Camorra und angeschlossene Familienverbände. So viel, daß jede Geste, jeder quasi-italienische Manierismus längst zum Kilschee geworden ist. Harold Ramis macht sich diese Tatsache zunutze, um die längst überfällige Komödie (nicht saublöde Parodie – die hatten wir letztes Jahr mit MAFIA!) über das organisierte Verbrechen, oder besser: über Filme über das organisierte Verbrechen zu servieren, und legt den Filmmobster schlechthin auf die Couch des Psychoanalytikers: Robert De Niro, der nach REINE NERVENSACHE nun wirklich nicht noch einmal durch die Straßen von Little Italy streifen darf. Er spielt den Unterweltboß Paul Vitti, eine eiskalte Sau, der just vor einer Eskalation der lange
währenden Fehde mit einem Widersacher von Angstattacken geplagt wird und Gefahr läuft, zum Weichei zu mutieren. Merke: Wenn dem Mafioso das zu Brei schlagen von mitteilungsfreudigen Zeugen keinen Spaß mehr macht, dann ist das schlecht für den Beruf. Denken sich auch Vittis Adjutanten und bringen den Psychiater Ben Sobol zu ihrem neurotischen Chef, der die Lust am Killen wieder herstellen soll. Der wird von Billy Crystal dargestellt, der De Niros hemmungslosem Overacting endloses Geschnatter mit vielen guten Pointen entgegensetzt. Wie schon Ramis‘ vorangegangene Komödien UND TÄGLICH GRÜSST DAS MURMELTIER und VIER LIEBEN DICH erschöpft sich auch REINE NERVENSACHE mehr oder weniger in der Variation eines Witzes – hier der Zusammenprall der unvereinbaren Welten von Gangster und Seelenklempner. Aber der wird gut erzählt: Ob DeNiro nun aufgefordert wird, seine Aggressionen an einem Kissen auszulassen und, anstatt zuzuschlagen, ein ganzes Magazin in das Möbel entleert, oder er justament während der Hochzeit des Doktors einen mißliebigen Kontrahenten aus dem siebten Stock eines Hotels mitten in die Hochzeitstorte zirkelt, Ramis‘ Komödie hat verspielten Charme und De Niro und Crystal – gegensätzlicher können zwei Typen nicht sein – haben eine verblüffend gute Chemie. Freilich: REINE NERVENSACHE läßt die Chance verstreichen, wirklich subversiv zu sein. Weder darf De Niro am Ende wieder ungehemmt killen, noch läßt sich Crystal vom Lebensstil des Mobs verführen. So tuckert der Film recht unentschlossen in Richtung vorhersehbares Ende. Aber man müßte lügen, wenn man nicht zugäbe, daß man auf dem Weg dahin gut unterhalten wird. Start: 20.5.
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