Motörhead – Everything Louder Than Everyone Else :: Brutal

Wer eine gewaltige, kochende Wut im Bauch hat, der kann entweder spontan Katzen schlachten, der Oma den Spazierstöck wegkicken – oder aber auf die Hilfe von kathartischer Musik zurückgreifen. Es mag ja sein, daß Kinder im Mutterleib auf Johann Sebastian Bach abfahren, aber für den ganzen Scheißdreck nach dem uteralen Exitus braucht’s schon heftigere Geschütze: Mit schwerer Zunge skandiert denn auch ein offenbar leicht angesäuseltes Publikum den Namen seiner Helden: „Motörhead, Motörhead, Motörhead!“, bis Lemmy Kilmister ans Mikrö tritt: „Yes, I know!“ Diese kleine Szene faßt, noch bevor die ersten Akkorde aus den Boxen brechen, den folgenden Irrsinn trefflich zusammen: „We’re Motörhead. And we’re gonna kick your ass!“ Eine glatte Lüge. Lemmy hält sich an deinen Ohren fest, um dir mit beiden Beinen in den Bauch zu treten – während der brachiale Bass den Putz von der Decke rieseln läßt. Lemmy, Drummer Mickey Dee und Gitarrist Phil Campbell breiten auf der Doppel-CD mit dem programmatischen Titel EVERYTHING LOUDER THAN EVERYONE ELSE alles aus, was ihren düsteren Ruhm begründet: „Iron Fist“, „Ace Of Spades“ oder „GoingTo Brazil“, aber auch Frischeres wie „Overnight Sensation“ oder „Civil War“. Spielt auch keine Rolle. Da Lemmy seit Jahrzehnten eigentlich immer denselben Song spielt, kann das vorliegende Live-Album auch als perpetuierende Variation eines einzigen Themas gehört werden: Rock ’n‘ Roll. Jawoll, „Roll“, denn Motörhead rocken nicht nur, sie swingen! Und weil sie das mit zunehmendem Alter immer besser können, ist diese schwitzende, rotzige Werkschau sogar Klassikern wie NO SLEEP TlL HAMMERSMITH überlegen. Vor der letzten Zugabe, bevor er sich selbst und die Hamburger Docks in ein apokalyptisches „Overkill“ stürzt, reckt sich das Reptil des Rock noch einmal nach einem Mikro: „You make me glad to be in Rock ’n’Roll“. Da nich’für, Alter.