Happiness :: Film des Monats:
„Happiness, where are you?“, singt sich Joy, die traurige Heldin von Todd Solondz‘ sensationell bösartiger Komödie HAPPINESS, ihren Lebensschmerz von der Seele. Sie hat allen Grund: Von ihren beiden erfolgreicheren Schwestern wird sie bevormundet, von dem russischen Taxifahrer Vlad ausgenutzt, und ein abgewiesener Verehrer rächt sich, indem er Selbstmord begeht. Viel glücklicher als Joy sind die anderen Figuren dieser Ode an die Einsamkeit auch nicht: Ein Computerfachmann vetreibt sich die Verzweiflung der Abende mit obszönen Anrufen und dem Ejakulieren an seine Wohnungswände. Während das Ziel seiner Begierde, Joys gelangweilte Autorenschwester, unerreichbar bleibt, muß er sich der Avancen einer fetten Nachbarin erwehren, die ihm gesteht, sie habe den Portier des Appartmenthauses ermordet und dann gegessen. Die dritte Schwester, Trish, führt ein scheinbar perfektes Vorstadtleben, ahnt aber nicht, daß ihr Ehemann mit Vorliebe beim Studieren von Teenie-Magazinen onaniert und schließlich Schulkameraden seines Sohnes unter Drogen setzt und vergewaltigt. Man ahnt es: Ein glücklicher Film ist HAPPINESS nicht, dafür aber ein sehr guter und streckenweise auch gnadenlos witziger. Solondz‘ Vorgänger, WILLKOMMEN IM TOLLHAUS, über die Erlebnisse eines häßlichen Entleins an ihrer Schule, war das Hors d’Oeuvre. Jetzt serviert er die Hauptspeise, üppig und alles andere als leicht verdaulich. Was wie eine Reihe unzusammenhängender Episoden aus einem filmischen Universum zwischen dem präzisen Auge Robert Altmans und den Ungeheuerlichkeiten eines David Lynch beginnt, entwickelt sich zur meisterlichen Abrechnung mit der Heuchlerei des US-Mittelstandes. Genußvoll demontiert Solondz alles, was dem guten Amerikaner heilig ist, und entlarvt den hehren Familienverbund als Hort der Perversen und Psychopathen. Lange hält der Regisseur seine Szenen, löst die witzigen Episoden mit erschreckenden Entwicklungen auf, die einem das Lachen im Hals steckenbleiben lassen, während allzu grausame Sequenzen humorvolle Schlenker erfahren. Eine geniale Gratwanderung, die dem wunderbaren Ensemble um den phänomenalen Dylan Baker als pädophiler Akademiker alles abverlangt. Nie werden die Figuren bloßgestellt, nie wird der belehrende Zeigefinger erhoben, nie werden die Charaktere ihrer Menschlichkeit beraubt. Gerade daraus gewinnt der Film solche Wucht: Wenn der kinderschändende Vater am Schluß von seinem zwölfjährigen Sohn zur Rede gestellt wird, stockt einem der Atem. HAPPINESS ist der erste Kandidat für die Weihen zum besten Film 1999.
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