Die Singles
Der Beat ist umgezogen, die neue Hauptstadt heißt Köln, die imposanteste Großbaustelle „Formic“. Der am Electro-Revival maßgeblich beteiligte Vertrieb zielt mit seinen Labels aber inzwischen nicht mehr nur auf Becken und Beine von B-Boys und -Girls, sondern schlägt via Thomas Brinkmann inzwischen auch den Bogen zum anderen Ende der Techno-Stadt, wo der Minimalismus und Mike Ink wohnen. Thomas Brinkmann hat nach seinen „Studio 1-Variationen“ und“Concept-Variationen“ einen neuen Weg in drei, beinahe gleichzeitig an den Start gebrachten Labels gefunden: „Ernst“, „Max“ und „Max Ernst“ (alle im Vertrieb von Formic). Das erste davon ist für ihn selber reserviert. Auf den bislang erschienen fünf Maxis erhebt er die Strenge des Labelnamens zum Konzept: Minimalismus lautet einmal mehr die Regel, doch wird sie vom Komponisten nicht zu eng ausgelegt. Mit den charmant „Anna/Beate“,“Clara/Doris“, „Erika/Frauke“, „Inge/Jutta“. „Gisela/Heidi“ betitelten 12-Inches erkundet Thomas Brinkmann die Freiheiten innerhalb des Minimalismus, tänzelt einmal sachte in Richtung House, blickt ein andermal zurück zu den Wurzeln in Detroit und flirtet sogar mit Electro/HipHop-Stampfern. Nachdem großen Sprung weg von der Tanzfläche nun wieder ein kleiner Schritt auf sie zu die Erfahrungen des letzten Schrittes natürlich stets im Hinterkopf: Auch der dialektische Fortschritt wohnt nun (wieder) in Köln.
Im Gegensatz zum gesetzten „Ernst“ bricht „Max“ aus den Traditionen von Techno in die andere Richtung aus: Auf den bisherigen zwei Maxis beherrschen DJ-Tools das Vinyl, die zwar sehr wohl komplex strukturiert sind, aber aberwitzig Gas geben. Entsprechend geben hier Männernamen den Titel, und Label und Cover sind genau gegensätzlich gefärbt wie die jeweilige Katalognummer des „Ernsf‘-Labels. Hier zeichnet nicht nur Thomas Brinkmann für die Veröffentlichungen verantwortlich, auf Nummer 2 etwa darf der für schwebende Soundscapes bekannte Martin Schmickler (Pluramon, Wabi Sabi) seine Liebe zu Post-Acid-Wahnzuständen ausleben.
Auf dem dritten Label, „Max Ernst“, schließlich führt Thomas Brinkmann seine Version von Remixauf das nächste Level: Mit dem selbstgebauten Plattenspieler mit zwei Ton-Abnehmern bearbeitet er hier Stücke von Mika Vaino (aus dem atmosphärischen ,,Sähkö“-Land), von RRR (dessen Veröffentlichung auf „Elektro Music Department“, siehe „Kotai + Mo“-Rezension in diesem Heft) und von sich selbst. Als Weiterentwicklung seiner bisherigen Arbeitsweise rollt Brinkmann Sprach-Samples ausWim Wenders'“Paris. Texas“ über die Klänge und schwirrt so davon in surreale Psychedelic-Minimal-Welten.
Wer solchen Experimenten ein wenig zweifelnd gegenübersteht, wird beim „Formic“-Vertrieb allerdings auch fündig: Auf bislang fünf Maxis erwärmt das Label „Treibstoff“ das Herz mit traditionellen Kölner Klängen, die auf ihre Art verschiedene Traditionen elektronischer Tanzmusik bearbeiten und dabei den Hörern eine relaxte Lässigkeit schenken.
Für Leute, die aus Grundsatz, Geldmangel oder anderen Gründen keine Maxis kaufen, bleibt nur (was heißt „nur“?!) die fantastische Compilation „Fit For Heroes“ (Pop/ Formic). Hier schnüffeln die üblichen Verdächtigen der Electro-Szene der Domstadt hinüber ins neue Jahrtausend. Rakete!
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