Bruce Springsteen :: Tracks

Die Fakten: 66 Songs aus den Jahren von 1972 bis 1998, davon 56 bis dato unveröffentlicht, chronologisch verteilt auf vier randvolle CDs. Dazu ein Booklet mit zum Teil bisher unveröffentlichten Fotos, genauen Detailinformationen zu jedem Song sowie sämtlichen Texten. Kurz: TRACKS ist eine Materialschlacht ähnlichen Kalibers wie seinerzeit die Springsteen-LIVE-Box von 1986. Hört man stichprobenartig hinein, staunt man zunächst, was der Mann im Laufe der Jahre alles nicht veröffentlicht hat. Edelsteine wie das durch Southside Johnny & The Asbury Jukes bekannt gewordene „Hearts Of Stone“ oder Natalie Coles „Pink Cadillac“ funkeln hier einträchtig neben fast vergessenen B-Seiten („Shut Out The Lights“, Janie, Don’t You Lose Heart“). Dazu gibt’s frühe Meisterwerke, die bis dato nur auf lausig anzuhörenden Bootlegs kursierten („Santa Ana“), sowie Songs der ersten CBS-Session des jungen Wilden, die 1972 unter den Fittichen des legendären John Hammond stattfand. Sämtliche TRACKS sind übrigens fertig produziert zu hören, zum Teil hat Springsteen noch im Sommer ’98 Overdubs hinzugefügt, etwa die Bläser bei „Hearts Of Stone“. Warum das Material bisher in den Archiven schlummerte, erklärt der Meister in den Liner Notes gleich selber: Vieles habe zum Zeitpunkt seiner Entstehung einfach nicht in den gedanklichen Zusammenhang der jeweiligen Alben gepaßt. Der neunmalkluge Kritiker fügt hinzu, das einiges auch arg nach Doubletten von Songs klingt, die den Weg auf offizielle Alben tatsächlich schafften. So kommt „Restless Nights“ wie ein Zwilling von Jackson Cage“ daher, und die Ballade „Sad Eyes“ kann ihre Verwandschaft zu „I Wish I Were Blind“ nur unschwer leugnen. Wenn es überhaupt an diesem Füllhorn voll besten amerikanischen Rock’n’Roll etwas auszusetzen gibt, dann, daß das Gros der TRACKS aus den Sessions für DARKNESS ON THE EDGE OF TOWN.THE RIVER und BORN IN THE USA, also der kommerziell erfolgreichsten Karrierephase des Boß, stammt. Die frühen Jahre bis „Born To Run“ sind relativ unterrepräsentiert, und so mancher Live-Hammer hätte die Sache noch runder machen können. Größtes Rätsel zudem: Warum fehlen „The Promise“ und „Cindy“, zwei in der Bootleg-Gemeinde geradezu kultisch verehrte Songs? Unterm Strich jedoch beweist die üppige Box zweierlei: Wohl kein Musiker hat in den 70er und 80er Jahren eine derart perfekte Synthese aus primitivem Rummelplatz-Rock und anspruchsvollem musikalischem Seelen-Kintopp geschaffen. Und: Die E-Street Band wuchs dabei zu Springsteens musikalischem Rückgrat, oder wie er selbst sagt: „Sie waren meine Hände und Füße“. Die physische Kraft und das traumwandlerische Zusammenspiel dieser Paarung gehen Bruce Springsteens späteren Arbeiten in den 90er Jahren mitunter schmerzlich ab – THE GHOST OF TOM JOAD als kammermusikalisches Prediger-Brevier lassen wir mal außen vor. Man darf gespannt sein, was aus der hartnäckig kolportierten Reunion der E-Street Band mit ihrem Boß im kommenden Jahr erwächst.