Der Soldat James Ryan :: Infernalisch
24 Minuten: So lange benötigt Steven Spielberg, um Marion Brandos berühmten letzten Worten „The horror!“ aus APOCALYPSE NOW ein Gesicht zu verleihen. So lange dauert in DER SOLDAT JAMES RYAN die Normandie-Invasion der US-Truppen in Omaha Beach, die in einem Rausch aus Blut, Tod, Verderben und Wahnsinn alles ausradiert, was je zum Thema Kriegsgrauen auf Zelluloid gebannt wurde. Die Sequenz ist unbeschreiblich: Wie am Schluß von GALLIPOLI bereiten sich die Truppen in den Landebooten auf den gewissen Tod vor, doch hier ist es der Anfang des Films: Die Männer beten, zittern oder übergeben sich in ihre Helme. Wenn sich die Klappen öffnen, bricht die Hölle los, von Spielberg und seinem Kameramann Janusz Kaminski teils mit handgehaltener Kamera, teils mit manipulierten, beschleunigten Bildern atemberaubend direkt und realistisch festgehalten. Als steckte man selbst inmitten des Chaos, erlebt man aus den Augenwinkeln mit, wie Menschen entzwei gerissen werden, sich in Todesqualen ihre Gedärme wieder in den Körper stopfen, wie sich der Boden langsam rot färbt. Nur der Zufall entscheidet, wer dem Massaker entrinnt, bis es den wenigen Überlebenden der Kompanie von Capt. Miller (Tom Hanks) gelingt, den deutschen Bunker zu stürmen. Danach ist nichts mehr, wie es vorher war. Mit Knoten im Magen verfolgt man, wie Miller und seine Männer losgeschickt werden, in einer offensichtlich sinnlosen Mission den Fallschirmspringer James Ryan – den letzten Überlebenden von vier Brüdern – hinter feindlichen Linien zu lokalisieren und nach Hause zu schicken. Es ist ein Marsch durch eine ausgebombte Hölle, der alle Farbe, alles Leben entzogen wurde. Am Schluß steht wieder eine Schlacht, noch aufwühlender, noch brutaler – aber es sind die Bilder vom D-Day, die einen weit über den Abspann verfolgen. Spielbergs Meisterschaft als Filmemacher ist es anzurechnen, daß man sich – wie bereits in SCHINDLERS LISTE – dem Inferno aussetzt, wo man am liebsten die Augen abwenden würde. Anders als in SCHINDLERS LISTE hat er hier aber keine Botschaft auf seiner Agenda – befreit von der Last, gelingt ihm sein Meisterwerk. Krieg ist Hölle, das Ende der Unschuld, klar, das weiß jeder. Aber kein Film hat jemals so deutliche Bilder dafür gefunden. Wenn DER SOLDAT JAMES RYAN uns diesen Organismus der Vernichtung durch die Augen des kampfunerfahrenen, vor Panik wie gelähmten Soldaten Upham (brillant: Jeremy Davies) miterleben läßt, wird klar, daß Feigheit und Heldentum keine Rolle spielen: Beide sind nur irrationale Antworten auf die einzige Empfindung, die im Krieg von Bedeutung ist: Angst. Willkommen zum „Feel bad“-Movie of the year, der zugleich einer der besten anno 1998 ist.
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