R.E.M. – Up :: Aufwärts mit Up
Was kann der Hörer von R.E.M. noch erwarten? Das Quartett aus dem amerikanischen Südstaat Georgia ließ spätestens mit DOCUMENT die wohlverdiente Lokalprominenz hinter sich und avancierte zu einer der ganz wenigen Gruppen mit weltweitem Sonderstatus. Ihre Karriere wurde von Hits wie „It’s The End Of The World As We Know It“,“Shiny Happy People“ oder dem inzwischen ausverkauften „Losing My Religion“ nicht eingeläutet, sondern wie beiläufig begleitet. Es folgten das melodietrunkene AUTOMATIC FOR THE PEOPLE, das grollende MONSTER und schließlich, als Synthese aus beiden, das epische NEW ADVENTURES IN HI-FI. Wie, so mußten sich die Künstler fragen lassen, könnte eine solche Bilanz noch zu übertreffen sein? Wo doch, wie Beobachter kritisch anmerkten, künstlerisch vielleicht schon alles gesagt ist? Und das Alter? Drummer Bill Berry hat sich genau darüber monatelang den Kopf zerbrochen und schließlich seinen Ausstieg erklärt das festgegossene Gefüge der Gruppe geriet bedenklich ins Wanken. Doch anstatt das Handtuch zu werfen, haben R.E.M. mit UP einen neuen Anfang gewagt, alte Can-Platten gehört und sind dabei gleich ein paar Stufen hinaufgestolpert: R.E.M. goes Garabage goes Radiohead und wieder zurück. Die erste Single, das fahrige „Daysleeper“, soll den Fan bei alten Hörgewohnheiten abholen – was ihn dann auf der Platte erwartet, geht allerdings weit über trendige Dehnübungen in Sachen Krautrock hinaus. UP ist ein sehr elektrisches Experiment mit pfeifenden Sequencern, angestaubten Taktautomaten und verzerrten Gitarren. Mit klaren Songstrukturen, die in betäubendem Dröhnen eines übersteuerten Moogs münden. Mit ungewohnt abrupten Rhythmuswechseln, die immer auch Stimmungswechsel sind.“At My Most Beautiful“ z.B. erweist sich als gut produzierter Postrock, mit an die Beach Boys erinnernden Vokalharmonien und Streichern, die von Michael Nyman sein könnten. Den kennt Peter Buck zwar nicht, aber es macht ihm hörbar Spaß, einfach alles zu machen, was ihm Spaß macht. Bei den Aufnahmen in San Francisco scheint er jedenfalls einen klaren Marschbefehl ausgegeben zu haben: Weg vom Song, hin zum Sound. Und der ist in der Tat frisch, wohl aber auch ein wenig kunsttümelnd. Also ist es wieder Michael Stipe, dessen vertraute Stimme der Platte Wärme, dessen Texte den Songs ihr Rückgrat geben. Irgendwann muß sich eine Band wohl entscheiden, ob sie im Museum oder auf einer Messe für zeitgenössische Kunst auftreten will. Mit UP fällt die Entscheidung von R.E.M. überraschend klar und vital aus. Was natürlich kein Rock ’n‘ Roll mehr ist – aber hat das irgendjemand erwartet?
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