Primal Scream – Vanishing Point

Die Wahrheit, das wissen wir seit Mulder und Scully, liegt irgendwo da draußen. Die Wahrheit über Primal Scream etwa: Bobby Gillespie ist der Autist, der vom Himmel fiel. Sein Auftrag: seltsame Töne zu zerlegen, zu erforschen und neu zusammenzusetzen. Das erste Experiment verlief vergleichsweise einfach: schrammeliger Noisepop als Versuchsballon. Aber dann: zuerst eine Supernova aus Rave-Ekstase und Rock-Emphase (SCREAMADELICA von 1991), später ein Meteoritenhagel aus P-Funk-, Soul-, Rhythm’n’Blues- und Rock-Elementen (GIVE OUT BUT DON’T GIVE UP von 1994). Jedes musikalische Lebenszeichen ein Urschrei, jedes Album ein Debüt. Großartig, das. Karriere? Who cares? Statt dessen:“Alles geht, solange es cool klingt.“ Ein derart traumatischer Trance-Trip wie VANISHING POINT war dennoch nicht zu erwarten. Wie bei den Chemical Brothers macht nun auch bei Primal Scream der Rhythmus die Musik. Doch wo Tom Rowlands und Ed Simons zugunsten von Beat & Bass die Songstrukturen längst aufgegeben haben, bleiben für Bobby Gillespie Melodie, Gesang und Rockinstrumentarium feste Größen. Ob man das nun Psychedelic Dub, Ambient Rock oder Trip Pop nennt – wichtiger ist die Feststellung, daß Primal Scream den Brückenschlag vollziehen von Klang- und Farborgien der späten 60er zur schwarz-weiß Ästhetik der 90er. Der Opener“Burning Wheel“ gleicht einem Zeitlupenspaziergang zwischen Geysiren aus Synthieklängen. Das hypnotische „Kowalski“ verbreitet pure Can-Magie, „Stuka“ ist ein akustischer Luftangriff, „Star“ wiederum schleicht sich wie ein kleines pelziges Wesen in die Gehörgänge, wo es sich festkrallen muß, um nicht gleich wieder herausgepustet zu werden. Von „Medication“ etwa, einem rumpelnden Geradeausrocker in bester Stones-Manier, der sich wohl von GIVE OUT… hierher verirrt hat. Merkwürdig konventionell. Was für die drei Instrumentalstücke nicht gilt: „Trainspotting“-vom Soundtrack des beklemmend-grandiosen Danny-Boyle-Filmes, das pluckernde „Get Duffy“ und „If They Move Kill ‚Em“, das wie die Titelmelodie des Tarantino-Remakes einer 6oer-Jahre-Krimiserie klingt. Hören als Abenteuer: VANISHING POINT mag vielleicht nicht die Zukunft des Rock sein, aber dank solcher Alben hat er überhaupt eine. Get it.