Absolute Power :: Film des Monats
Clint Eastwoods Handschrift ist unverkennbar Old School: Wo andere Regisseure pixelnde Computereffekt-Experten und Explosionen, die Tote erwecken können, bemühen müssen, um zur Jahrtausendwende für Spannung zu sorgen, reichen bei dem alten Desperado vergessene Tugenden wie gute Schauspieler, präzise Dialoge und eine seltene Souveränität der Inszenierung. So geht’s ja auch: Regelmäßig dreht der James Ivory des Actionfilms seine Filme vor dem geplanten Termin ab und stellt sie unter dem veranschlagten Budget fertig – eine Eastwood-Spezialität. Sein Geheimnis? Drei Takes pro Szene – nicht mehr, wie seine Schauspieler immer wieder mit Erstaunen konstatieren. Das verleiht Eastwoods Regiearbeiten eine Frische und Geschmeidigkeit, die man in den meisten durchkalkulierten Hollywood-Produktionen vermißt. „Absolute Power“ profitiert deutlich vom Eastwood way of filming. Welche Leistung der Regisseur und Hauptdarsteller in Personalunion hier vollbracht hat, läßt sich vermutlich erst ermessen, wenn man David Baldaccis unsägliche Bestseller-Vorlage kennt: Die am Reißbrett konzipierten Figuren und unverschämten Handlungswendungen lassen John Grishams Justizkrimis im Vergleich wie Nobelpreis-Material wirken. Eastwood entschlackte den Mumpitz, strich die Hauptfigur und behielt eigentlich nur die Eingangssequenz und die zärtliche Nebenhandlung bei, in der der alternde Meisterdieb Luther Whitney (Eastwood) versucht, eine Aussöhnung mit seiner entfremdeten Tochter herbeizuführen. Kein leichtes Unterfangen, denn bei seinem Einbruch in das leerstehende Haus eines greisen Milliardärs beobachtet Luther die Frau des Hausherrn beim eskalierenden Liebesspiel mit einem schwer trunkenen Mann, das mit dem Mord an der Frau endet. Wie würden Sie sich fühlen, würden Sie den Mann als Präsidenten der USA identifizieren? Für Luther beginnt das Katz-und-Maus-Spiel erst, als er den Präsidenten Tage später im Fernsehen bei einer Rede sieht, in der dieser seinem Mentor heuchlerisch sein Beileid über den tragischen Verlust seiner jungen Frau ausspricht. Luthers Abscheu und ehrliche Wut sind quintessentieller Eastwood: die Antriebsfeder im sich entwickelnden Kampf zwischen David und Goliath. Eastwood ist mit seinen 64 lahren kein „Dirty Harry“ mehr – und er weiß es. In einer grandiosen Dialogszene mit Ed Harris, der als Cop im Mordfall ermittelt, scheut er sich auch nicht, Witze über sein Alter zu reißen. Das verleiht „Absolute Power“ bei all seiner vertrackten Taktiererei ein menschliches Antlitz, das man auch im Jahr 2015 noch bei Stallone und Schwarzenegger vermissen wird. Eastwoods neuer Film mag im Vergleich mit seinem Meisterwerk „Erbarmungslos“ den kürzeren ziehen, und dennoch ist jede Minute kostbar.
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