The Walkabouts – Nighttown :: Platte des Monats
Unsere Legenden wollen wir uns erhalten, weil sie wahr geworden sind“, sagt ein Protagonist in John Fords Klassiker „Der Mann, der Liberty Valance erschoß“. Die Legende, an der die Walkabouts seit einem Jahrzehnt und sieben Platten stricken, heißt „Amerika“, das in ihrer Vision zum mythisch überhöhten, seltsam surrealen Traumgebilde gerinnt. God’s own country als verwunschenes Atlantis, als musikalische Landschaft, die nicht von ungefähr an Jim Jarmusch-Streifen gemahnt. Wie jener in „Dead Man“ das Western-, so hat das Quintett aus Seattle das Folkrock-Genre neu definiert: die Wiederentdeckung der Langsamkeit.
Carla Togerson, Chris Eckman und ihre Bandmates haben einen langen Weg zurückgelegt: vom phasenweise atemlosen Ungestüm ihrer Frühwerke wie BEAUTIFUL RATTLESNAKE GARDENS (1988) bis zur atemberaubenden Schönheit von DEVIL’S ROAD (1996), von gottverlassenen Geisterstädten mitten im Nirgendwo (SATISFIED MIND/1993) bis in die düsteren Straßenschluchten der Metropolen, NIGHTTOWN eben. „Alle Songs handeln von der Stadt bei Nacht.“ So weit Chris Eckman. Doch die Walkabouts stürzen sich nicht etwa kopfüber ins brodelnde Nachtleben, sondern bleiben stille Beobachter, halten Distanz, gerade so, als würden sie durch die regennassen Scheiben eines langsam dahinrollenden Autos auf grellbunte, grotesk verzerrte Neonschilder starren, ihren Gedanken nachhängen und sich gelegentlich ein paar Worte zuraunen. Fremde in einer fremden Umgebung, die das Vertraute suchen. Und Vertrautes sucht und findet auch der Hörer-, berückende Melodien, weit ausladende Spannungsbögen, verhaltene Tempi. Da tupft ein Vibraphon, hier perlt ein Piano, dort murmeln Bläser, zwischendurch zirpt auch mal ein Synthesizer – und dazu hängt der Himmel voller Geigen. Im Ernst: Was auf NIGHTTOWN an geradezu abenteuerlichen Streichersätzen zu hören ist, dürfte im Rock seinesgleichen suchen, wobei die Arrangements noch eine Ecke stimmiger und organischer ausgefallen sind als jene auf DEVIL’S ROAD. Und dann diese Songs, mal von Chris, mal von Carla, mal von beiden gemeinsam gesungen: „Follow Me An Angel“ spielt in der gleichen Liga wie Caves & Kylies „Where The Wild Roses Grow“, das über siebenminütige „Forever Gone“ gerät zum hypnotischen Strudel, „Heartless“ hat den bitteren Geschmack des letzten Whiskeys morgens um vier, bei „Harbour Lights“ dröhnt von Ferne, wie ein Nebelhorn, das Echo einer sägenden Gitarre, zu „Nightbirds“ tanzen Feen in Zeitlupe zwischen Abfalltonnen, „Prayer For You“ klingt, als käme es vom anderen Ende des Regenbogens: „When you burn your kingdom, through the ashes I will come“, singt Eckman mit der sanften Eindringlichkeit eines Weisen, Streicher umgarnen seine Stimme, vorsichtig setzt der Beat ein, und der Song treibt langsam seinem Höhepunkt entgegen, ehe er leise ausklingt. Die Walkabouts sind unpeinliche Romantiker, selbstbewußte Außenseiter, melancholische Lebenskünstler, die wissen: Das Dasein ist ein langer, ruhiger Fluß, der mitten hineinführt ins Herz der Finsternis.
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