Mainstream der Minderheiten. Pop in der Kontrollgesellschaft
MAINSTREAM DER MINDERHEITEN macht genau da weiter, wo NEUE SOUNDTRACKS FÜR DEN VOLKSEMPFÄNGER (herausgegeben von Annas/Christoph) 1993 nach der Nazirock-Debatte aufgehört hatte. Das Buch vereinigt auf fast 200 Seiten elf Aufsätze (in erster Linie aus der Feder von SPEX-Autoren wie Christoph Gurk, Tom Holert, Diederich Diederichsen oder Mark Terkessidis), in denen die Autoren versuchen, die Zusammenhänge zwischen gesellschaftlicher Entwicklung und der Pop-Musik aufzuhellen. Das entscheidende Problem dabei ist: „Heute geht es nicht mehr darum, wer gerade im Besitz der vorgeblichen Authentizität von Pop ist, sondern darum, was und wer gerade in bestimmten Spielarten der Pop-Musik repräsentiert wird. Konzepte der Affirmation oder solche des Widerstands: der Mainstream oder die Subalternen“. Zwei Grundannahmen: 1. Der Mainstream organisiert sich spätestens seit R.E.M. und Nirvana immer „minderheitlicher“ und trägt damit der Zersplitterung der Gesellschaft in zahllose Zielgruppen Rechnung – wie auch die Industrie, die sich mit internen Pseudo-Indielabels wie „Epic“ oder „Spin“ selber eine (Schein)-Konkurrenz macht. 2. Die „Disziplinargeseilschaft“, gegen die ’68 und Rockmusik alter Schule noch Front machen konnten, wird abgelöst durch etwas Neues, das Gilles Deleuze mit dem Terminus „Kontrollgesellschaft“ zu fassen versuchte. Sie entläßt den einzelnen aus den Zwängen der Moderne, um den Preis der sozialen Unsicherheit in der postmodernen „Risikogesellschaft“
(„aussichtslose Unabhängigkeit“ statt der aussichtlosen Abhängigkeit, die von der Frankfurter Schule an die Wand gemalt wurde). Ausgestattet mit diesem theoretischen Gerüst untersuchen die verschiedenen Autoren die Techno-Kultur, HipHop, Schlager und Rock in der Sowjetunion, die Popindustrie usw. usf. MAINSTREAM DER MINDERHEITEN ist ein gutes und fast ebenso wichtiges Buch wie sein Vorgänger, allerdings könnte stellenweise die Empirie (sprich: konkrete Beispiele) etwas stärker repräsentiert sein, deren Erörterung die Theorie auch für diejenigen fruchtbar macht, die nicht unbedingt zehn SPEX-Jahrgänge und fünf Regalmeter Poststrukturalismus in sich aufgesogen haben.
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