Georgia

Sadie (Jennifer Jason Leigh) gäbe eine gute Figur als lüsternes Groupie, als Managerin oder fatalistische Songwriterin ab. Doch sie will mehr vom Musikgeschäft. Sie muß singen — im wahrsten Sinne des Wortes um ihr Leben. Und es ist keine Farce, sondern ein Drama, daß ihr wutverzerrter Mund nur Gekrächze auskotzt, während sie auf der Bühne steht und den Erfolg erzwingen will, den sie im Underground Seattles nie haben wird. Einmal malträtiert sie in einer achtminütigen Version Van Morrisons ‚Take Me Back‘. Akustische Körperverletzung. Georgia (Mare Winningham) hat hingegen null Charisma und könnte auf der Straße keine fünf Minuten überleben. Doch mit ihrer Stimme aus Gold und einem Händchen für himmlische Harmonien trifft sie den Nerv der dauermelancholischen Folkie-Gefolgschaft. Zu tausenden stehen sie in den Stadien und bekommen feuchte Augen, wenn Georgia zum Beispiel Elvis Costellos ‚Almost Blue‘ intoniert. Aurale Streicheleinheiten. Nichts scheint Sadie und Georgia zu verbinden. Bis auf das Blut. Denn sie sind Schwestern und haben beide den Blues. Doch wo er der einen Glück, Familie, Anerkennung und Ruhm beschert, treibt er die andere in die Gosse, an die Nadel und sternhagelvoll unter den Tisch. Zwei Welten, ein Mikrokosmos. Doch so extrem diese an die klassischen Musikfilme ‚The Rose‘ und ‚Nashville Lady‘ angelehnten Schicksale auch sein mögen — in der sorgsamen Verknüpfung durch die humanistische-mikroskopische, an Robert Altman gemahnende Regie von Ulu Grosbard (‚Stunde der Bewährung‘) ergeben sie Reiz, Reibung und Rhythmus. So ist ‚Georgia‘ neben all den präzisen Beobachtungen der Tretmühlen des Musikbetriebes die Geschichte einer schwesterlichen Haßliebe, die sich immer wieder in häßlichen Konflikten und versöhnlichen Annäherungen entlädt, und die den Schauspielerinnen viel Freiraum zum Seelenstriptease läßt. Als Vocal-Verliererin geht Jennifer Jason Leigh -— wie immer —- durch die Hölle. Der für den Oscar nominierten Mare Winningham reicht als Lichtgestalt indes ein Zucken der Mundwinkel, um Hilflosigkeit auszudrücken. Bewegend sind beide Figuren. Denn nicht die Musik ist entscheidend. Sondern die Menschen, die sie machen.