Heinz-Rudolf Kunze – Richter-Skala
Es bleibt dabei: An deutschen Texten gibt es nichts Vergleichbares. Phantasievoll, provokant und voller Widerhaken, HRK sticht heraus wie ein bunter Hund. Aber Vorsicht: Warnung vor dem bissigen Kunze! Nicht nur in ‚Ekelhaft‘, einer mit verletzenden Bildern gespickten Privatabrechnung, geht es ziemlich ungemütlich zu. Auch ‚Halt’s Maul‘, die erste Single-Auskopplung seines neuen Albums RICHTER-SKALA, zeigt die Zähne: Kunze fordert Maulkörbe für Bayern München-Freunde und Leute, deren Lieblings-Beatle nicht John, sondern Paul ist. Er erzählt liebenswerte Details und aberwitzige Situationen, um seine Hauptpersonen in Szene zu setzen, „Betroffenheits-Fetischisten“ und „Beziehungskisten-Spediteure“, wie Kunze sie nennt. Fast jede Zeile versieht der studierte Germanist mit Begriffshämmern und metaphorischen Paukenschlägen vom Kaliber „Schweiß badet nachts ein zitterndes Fohlen“ oder „Der Fleischer fönt im Traum ein triefend nasses Schwein“. Auch schneller zu erschließende Wort-Ungetüme hat Kunze zu bieten: ‚Ich Möchtegern-Opfer‘ ist der zweideutige Titel eines mit Funk und Metal versehenen Stücks. Von ‚Seekranken Matrosen‘ handelt eine im Stil von Achim Reichel daherwogende Hochsee-Hymne. Auch wenn es bei Heinz Rudolf Kunze stets die ausgefeilten Texte sind, die zuerst entstehen und so die Richtung vorgeben: Die musikalischen Fähigkeiten des Rock-Poeten sind hörenswerter denn je. Nachdem er die „Verstärkung“ bis auf seinen alten Weggefährten Heiner Lürig aufgelöst hat, überzeugt Kunze nun mit neuen Begleitmusikern und einer Bandbreite, die von Klavierballaden (‚Feuerschutz‘) über soulige Bläser (‚Brigitte‘) bis zu geradlinigem Classic-Rock (‚Vergessen‘) reicht. Fazit: Im kleinen Epi-Zentrum der Kunze-Kenner verzeichnet die RICHTER-SKALA sicher ihren vollen Ausschlag. Wer mit Kunze noch nie etwas anfangen konnte, bewegt sich auch diesmal auf erdbebensicherem Gebiet. Ein typisches Kunze-Album eben: Klangvoll und wortgewaltig, aber nicht jedermanns Sache.
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