Wut im Bauch :: Niedeckens Lust- und Frust-Kosmos

BAP Pik Sibbe (Electrolo 827 343.2) Eine BAP-Platte im Sommer, kann dos gutgehen? Gibt es in der warmen Jahreszeit genug offene Ohren, die dem Tiefsinns-Matadoren Niedecken zuhören wollen, genug Traditionalisten, die von Gitarrist „Major“ Heuser an die guten alten Stones erinnert werden möchten? Anders gefragt: Paßt diese Platte in unsere Erwartungen?

PIK SIBBE, das elfte Album der „Sibbe“-Mann-Band, beantwortet zumindest die letzte Frage mit einem klaren Nein. Niedeckens Frust- und Lustkosmos hat sich wieder mal ins Schwarze verfärbt, und er hat mit der Vorab-Single „Widderlich“ der Welt noch mal klargemacht, was er von den Politikern hält: nämlich gar nichts. Damit steht der gute Mann ja nicht alleine da, aber aus seinen Worten spricht eine so tiefe moralische Entrüstung und Wut, als habe er die Politikverdrossenheit erst vor ein paar Tagen entdeckt.

In den Balladen des neuen Albums sieht man schon die Feuerzeuge aufleuchten, sieht die BAPtisten in Niedeckens melancholischem Timbre versinken. Man weiß zwar nie genau, ob sich der Dylan der Kölner Südstadt gerade an seiner Umwelt stößt oder mehr an seinem eigenen Frust: Aber wenn er die Welt um sich herum nicht mehr kapiert, sucht er sein Heil im privaten Liebesglück. „Näher Zu Mir“ ist in dieser Hinsicht das vielleicht ehrlichste Lied auf „Pik Sibbe“, und ein musikalisches As dazu: Der Song bebt vor rhythmischer Spannung, „Major“ Heuser spielt die Gitarre mit ungewöhnlicher Härte, und Niedecken sucht im sinisteren Sprechgesang nach Orientierung.

In solchen Momenten fallen dem Denker wirklich bestechend klare Worte ein: „Wenn Träne rückwärts fleeße, wenn kei Jeföhl mieh stührt, dann weede mir die Monster, die die Ignoranz iebierf.“ Manch selbstkritische Zeile findet sich hier, viel Persönliches, auch Banales („Naachtigall“), aber wenig Zuversichtliches.

Im Gegensatz dazu klingt die Musik entspannter als je zuvor. „Keine Gastmusiker!“ hieß diesmal das Motto. In den Maffay-Studios am Starnberger See wollten es die Sieben von 6AP ganz alleine wissen. Das Ergebnis kann sich hören lassen, vor allem der Sound ist außergewöhnlich klar und für BAP-Verhältnisse geradezu rauh. Neben den typischen Rock- und R&B-Nummern gestatteten sich BAP auch ein paar stilistische Ausflüge: Bei „Wofür“ greift Folk-Fon Niedecken zur Mundharmonika, auf „Om Naass Asphalt“ singt er einen lupenreinen Blues, versucht sich mit „Queen Vun Da Ihrestrooss“ am Bar-Jazz, während „Paar Daach Früher“ schon gefährlich nah an die Süßlichkeit der Caro-Kaffee-Werbung grenzt.