The Jeff Healey Band :: Hell To Pay (BMG)

„Full Circle“ heißt der erste Song auf dem zweiten Album des kanadischen Gitarristen Jeff Healey – und dieser Name ist gleichzeitig Programm für die gesamte LP. Denn hier zeigt der blinde Musiker das ganze Spektrum seines überragenden Könnens. Healey begeistert mit mitreißenden Uptempo-Rockern, gefühlvollen Balladen und erdigem Blues.

Nach dem Erfolg seines Debüt-Albums SEE THE LIGHT fiel es dem virtuosen Gitarristen nicht schwer, für die Aufnahmen zur neuen LP prominente Unterstützung nach Montreal ins Studio locken: George Harrison und Jeff Lynne singen in seiner Version des Beatles-Klassikers „While My Guitar Gently Weeps“ den Background-Chor und greifen gelegentlich sogar in die Saiten. Was dem Alt-Beatle und dem ELO-Boss recht ist, kann Mark Knopfler nur billig sein. Der Boß der Dire Straits verdingte sich auf seiner wohligen Weltschmerz-Komposition „I Think I Love You Too Much“, der ersten Single-Auskoppelung, als Healeys Gitarren-Partner und sensible, zweite Chorstimme.

Überdies übernahm der blonde Blinde von John Hiatt den grundsolide groovenden Midtempo-Titel „Let It All Go“. Und nicht nur da fällt auf: Stärker als auf dem ersten Album setzt der Saitenartist mit der rauchigen, warmen Stimme jetzt Keyboards ein – dezent und dennoch unüberhörbar schön spielt Bobby Whitlock die Hammond-Orgel.

Als Produzent von HELL TO PAY fungiert Ed Stasium, der bereits für seine Studioarbeit mit Living Color, den Smithereens und den Ramones reichlich Lorbeer einheimste. Trotz des rockigen Charakters der Platte blitzt dennoch auch in den schnelleren Stücken immer wieder Healeys Vorliebe für den Blues auf. Und bisweilen erinnert sein Gitarrenspiel auch ein wenig an den Bluesrock-Altmeister Johnny Winter.

Doch alle Vergleiche mit anderen Musikern aus dem Gitarristen-Olymp müssen zwangsläufig hinken. Das hat auch Stevie Ray Vaughon erkannt, der über Healey staunte: „Der Kerl revolutioniert die Art und Weise, wie man die Gitarre spielt.“ Dieser Feststellung bleibt wahrlich nichts hinzuzufügen.

SONGS STATT SCHULE

Von Jeff Healeys erster Langspielplatte SEE THE LIGHT, erschienen im Herbst 1988, gingen weltweit 1,25 Millionen Exemplare über die Ladentische. Gehört der blinde Gitarrero zu den seltenen Glückskindern in der Plattenbranche? Wohl nur auf den ersten Blick.

„Ich kann mich gar nicht mehr so genau erinnern, wann ich zum ersten Mal aufgetreten bin“, sagt der heute 23jährige Musiker über seine bescheidenen Anfänge in Toronto. „Ich glaube, damals war Ich 14, und ich spielte mit ein paar Typen, die mindestens doppelt so alt waren wie ich, in irgendeiner verräucherten Kneipe Country-Songs.“ Für die Schule interessierte sich der junge Jeff weniger:

„Ich hatte herausgefunden, daß man da arbeiten muß.“ Stattdessen nahm der angehende Rockstar via Schallplatte Gitarrenunterricht bei Eric Clapton, Jeff Beck und Jimi Hendrix. „Diese Kollegen haben mir viel gegeben. Dennoch konzentrierte ich mich immer wieder auf Blueser wie B. B. King, Albert Collins und Buddy Guy.“

Wie viele große Gitarristen ist auch Jeff Healey ein Autodidakt.

„Ich fing schon mit drei Jahren an, Gitarre zu spielen. Keiner hat mir damals gezeigt, wie’s funktioniert. Also hab‘ ich mir das Ding gegriffen, nach Gehör gestimmt und versucht, etwas zu zupfen, was halbwegs wie eine Melodie klang.“ Das scheint ihm recht gut gelungen zu sein, denn 1985 zählte Healey in Toronto immerhin schon zu den angesehensten Rockmusikern. Mit Drummer Tom Stephen und dem Bassisten Joe Rockman war seine Band dann komplett.

LOB VOM VORBILD

Die Platten von Jeff Healey vermitteln nur ein unvollständiges Bild von den Qualitäten des 23jährigen Kanadiers und seiner Band. Denn live zählt das Trio zu den sehenswertesten Attraktionen. Im Konzert bearbeitet Healey seine Stratotaster wie weiland Jimi Hendrix mit den Zähnen, ohne dabei auch nur eine einzige Note auszulasten. Manchmal tanzt er wie ein Derwisch und findet seinen Weg von der Bühne herunter mitten ins Publikum. Meistens aber spielt er im Sitzen; sein Instrument liegt nach Slide-Manier vor ihm auf den Oberschenkeln. Letztlich ist es nur diese Haltung, die Jeff Healeys Behinderung erahnen läßt. Denn seit seinem ersten Lebensjahr ist der jungenhaft wirkende blonde Musiker blind. Er nimmt dieses erhebliche Handicap mit bewundernswerter Gelassenheit hin und verweist auf einen berühmten Kollegen: „Django Reinhardt konnte zwei Finger seiner linken Hand nicht gebrauchen, und hat trotzdem gespielt. Mehr noch – er war einer der größten Jazz-Gitarristen.“ Was den Blues-Rock angeht, so wird Jeff Healey inzwischen ähnlich eingeschätzt. Sein Vorbild B. B. King attestiert Ihm jedenfalls „die beste Technik, die ich je gesehen habe.“

Wer nun aber annimmt, daß sich in Jeffs Leben alles um den Blues dreht, der irrt. Seine Sammlung von 10.000 Schellackplatten besteht vielmehr zu einem beträchtlichen Teil aus Jazz-Veröffentlichungen der 20er und 30er Jahre. Daraus erklärt sich auch Healeys Wunschtraum: „Ich möchte einmal ein Jazz-Album mit wunderschönen Trompeten-Soli aufnehmen.“