Rock-Spezial
Australiens Rock-Legende The Saints, nach langem Underground-Dasein kürzlich von Polydor unter Vertrag genommen, hat über die Jahre etliche exzellente Musiker verschlissen und ist heute nur noch Begleitband des Sängers und Songschreibers Chris Bailey. Ihre kreativste Phase hatte die Band Ende der Siebziger, als der deutschstämmige Gitarrist Ed Kuepper der Band seinen Stempel aufdrückte. Nachdem Kuepper mit seiner eigenen Band Laughing Clowns Schiffbruch erlitt, arbeitet er solo und legt jetzt sein zweites Album vor. ROOMS OF THE MAGNIFICIENT (Hot/RTD-Vertrieb) gehört zu den abwechslungsreichsten Alben im Dunstbereich zwischen Folk und Rock. Der Titeltrack eröffnet mit einer gelungenen Hookline, es folgt ein schnelles Stück mit Tanzbeat und schöner Western-Gitarre, ironischerweise „Also Sprach The King Of Euro-Disco“ betitelt. Michael Arthurs heisere Mundharmonika setzt den reibungslosen Übergang zur Ballade „Sea Air“, gesungen im Duett mit Melanie Oxley.
Weiter geht es ohne Ausfälle, neben Kueppers eigener Klasse mögen Saints Go-Betweens und Dylan als Eckpfeiler dieser rundum gelungenen LP gelten. (6) Der schwache Eindruck, den The kiele Works letztes Jahr im Vorprogramm von Billy Bragg hinterließen, wird mit ihrer neuen LP mehr als ausgeglichen: IF YOU WANT TO DE-FEAT YOUR ENEMY, SING HIS SONG (Virgin). Wendet man das auf die Musik der Band aus Liverpool an, so wären ihre „Feinde“ zwischen The Teardrop Explodes und Wah! anzusiedeln. Songs wie „Understanding Jane“ sind leicht und gut konsumierbare Pop-Juwelen in bester Liverpool-Tradition. Geschickt wechseln Keyboard-Streicher und Gitarrenkraft als prägende Instrumente, der Gesang schwelgt in Pop-Sehnsüchten, die Melodien sind unwiderstehlich. „Sweet Thursday“ allerdings markiert den Übergang zum Schlagergut, dessen platte Eingängigkeit man nur allen schnell überbekommer, kann. Trotzdem: (4) Zwei interessante LPs mit der Verwendung von Sample-Keyboards: Coil arbeiten auf HORSE ROTORVATOR mit sehr verschiedenen Songstrukturen — von möglichen Dancefloor-Hits über freie Jazz-Elemente bis zu beschaulichen Stilleben mit seltsamen, folkloristischen Gesängen von John Balance. Im Background ist Marc Almond zu hören, hier versteckt hinter dem Tarnnamen Raoul Revere. (5) Stilistisch geschlossener und weniger aufregend, doch von starker hypnotischer Wirkung kommt die Musik des Wire-Mitglieds Graham Lewis, eingespielt unter dem Projektnamen He Said. Auf HAIL (Mute) dominieren beruhigende Stimmungen; auch wenn gelegentlich ein schräger Ton die harmonischen Schwaden zerschneidet, bleibt ein entspannender Grundton vorhanden. (4) Wenn es je eine Band gab, die psychedelischen Thrash-Beat der Sixties mit aller gebotenen, zeitgemäßen Power auf die Bühne zu stellen vermochte, dann sind es New Yorks Fuzztones. Wie Rudi Protrudi und seine Truppe das Publikum zum Rasen bringt, war ja schon auf hiesigen Bühnen zu sehen. Das Music Maniac Label stellte sich nun der schweren Aufgabe, diesen rasenden Live-Sound auf Vinyl zu bannen — ein unlösbares Unterfangen, wie LIVE IN EUROPE (EfA-Vertrieb) zeigt. Irgendwas fehlt doch da, da war doch viel mehr…? Nein, es sind eindeutig die Fuzztones. so wie sie waren, nur ist die Erinnerung nicht wie üblich geschrumpft, sondern gewachsen. Aber der Sound könnte besser sein. (4) Bill Bang Pow!, nett benannt nach einem 20 Jahre alten Song der englischen Band The Creation, schlagen in die gleiche Kerbe, haben aber die psychedelische Zauberkraft gegen hübsche, simple Pop-Arrangements ausgetauscht. Somit klingt alles auf THE GIRL WHO RUNS THE BEAT HOTEL (Rough Trade) wohlbekannt, ohrenfreundlich, stilgerecht. Geschmackvolle Soft-Beat-Songs der Kategorie: richtig nett. (3) Wie auf Wolken schwebt eine schwächliche, verträumte Stimme durch Keyboardschwaden und Midtempo-Beat, so als wäre sie gerade aus den Federn gekrochen und ohne Frühstück im Aufnahmestudio erschienen. Die Stimme gehört Stephen Pastel, seine Band nennt er The Pasteis, sein Debüt-Album UP FOR A BIT WITH THE PASTELS (Glass/RTD-Vertrieb) ist der ideale Soundtrack zum Entspannen, Strümpfe stricken oder in die Ferne schweifen. Obwohl viele Melodie-Linien an The Jesus & Mary Chain erinnern, ist hier kein schmerzender Ton auf der Platte. Mit Ausnahme des ausufernden „Baby Honey“ klingt alles so weich und zart, daß man befurchten muß. die Nadel des Plattenspielers könnte das Vinyl zerschneiden. (4) Nachdem die Platte fast fünf Jahre in keinem Katalog mehr zu finden war. üibt es nun endlich eine Neuauflage der immens seltenen, zweiten Television Personalities-LP: MUMMY YOURE NOT WATCHING ME (Dreamworld/RTD) markiert den Schnittpunkt zwischen euphorischen Tönen des Swinging London ’66 und Endsiebziger-Punk-Attacken. Songs wie „A Day In Heaven“ oder „Painting By Numbers“ sind der Beweis, daß psychedelische Musik nicht nur in den Sechzigern gemacht werden konnte, geschweige denn so klingen muß wie die zahllosen Billig-Revival-Bands sämtlicher Länder. Eine grundlegende Platte für alle diejenigen, die den Aufbruchsgeist der Sechziger in die heutige Zeit übertragen sehen wollen. (5) Streckenweise erinnern Bogshed auf TR1ED AND TESTED PUBLIC SPEAKER (Mini-LP) an frühe Aufnahmen von The Fall. Scharfe Gitarren und rumpelnde Rhythmen geben den Background für eine Stimme, die Mark E. Smiths Organ zum Verwechseln ähnelt. Von den sechs Songs sticht „Morning Sir“ heraus: Könnte von den Kinks stammen, hätten diese noch Lust am Experiment: swingend humorig den english way of life porträtierend. Alle Aufnahmen entstanden in John Peels berühmter Reihe von Radio-Liveshows. (4) Das Label Third Mind startete als Forum für junge englische Synthi-Musiker — interessant nun zu hören, in welcher Richtung die Bands sich weiterentwickelten: The Legendary Pink Dots mit einem märchenhaften Track von epischer Länge und stark wechselnden Stimmungen; Bushido mit minimalistischem Elektro-Soul und kompetenter Sängerin: Ohama Meets Dania mit zerbrechlichem Charme (wie die frühe Anna Domino); The Royal Family & The Poor mit nebulösen Klängen voller Hall und Echo, sogar eine Gitarre ist bei ihnen dabei. Für den Sampler 4 FROM THE MAD-DING CROWD. Insgesamt: (4) Der große Erfolg von The Mission zeigt Wirkung: Aus dem Archiv gekramt und wiederveröffentlicht ist ein Frühwerk des Mission-Gitarristen Simon Hinkler, eingespielt mit seinem Ex-Artery-Kollegen Mark Gouldthorpe. FLIGHT COMMANDER SOLITUDE & THE SNAKE ist ein verquastes. mystisches Konzept-Werk, drogenbeeinflußt wie viele obskure Platten aus der Zeit 1969—71. Hier ist ein Kult-Publikum gefragt, den unvorbelasteten Normalhörer erwartet nur effektreiche, psychedelische Leere. (2) Geräusche aus elektrischen Klangquellen wie Verstärkerbrummen. Kabelknistern etc. nehmen seit Lou Reeds umstrittenem Noise-Opus METAL MACHINE MUSIC einen testen Platz in der Musikgeschichte ein. Der Amerikaner Boyd Rice experimentiert seit über zehn Jahren mit industriellem Klangabfall und verzichtet auf alle konventionellen Töne. Unter dem Namen NON gibt es von ihm ein neues Album: BLOOD & FLAME bringt 15 Noise-Miniaturen, störend, bedrohlich, provokant. Das unwirkliche Schreien von Transistoren bewegt sich am äußersten Rand der Musik. (Ohne Wertung).
Vom Texaner und Ex-Sänger der 13th Floor Elevators, Rokv Erickson.
gibt es neben dem Sampler GREM-LINS HAVE PICTURES (vom Kollegen Feyer im letzten Heft schon gelobt) ein weiteres Juwel aus der Vergangenheit neu in den Läden: I THFNK OF DEMONS (Edsel) erschien erstmals 1979 mit magischen Symbolen aus Titel, dazu gab der Meister gänzlich unverständliche Interviews. Der neue LP-Titel entspricht den Songinhalten recht deutlich: kaum ein Song, wo nicht geisterhafte Erscheinungen aus der Welt der Teufelsund Horror-Filme beschworen werden; dazu spielt die Band rauhe, psychotische Riffs in guter Ami-Tradition. Eine sehr gute Rock-LP, die damals zu Unrecht übergangen wurde. (5) Das Prädikat, zur falschen Zeit das Richtige gemacht zu haben, paßt auf Erickson wie auch auf seine kalifornischen Kollegen The Droogs. Ric Albin und Roger Clay touren seit Jahren mit wechselnder Rhythmusgruppe durch amerikanische Clubs und spielen ihre eigene Musik, nämlich unprätentiösen Rock ’n‘ Roll zwischen frühen Stones und Dream Syndicate. Leider schafften ihre vielgerühmten Singles es nie über den großen Teich. Diesem Mißstand wird nun abgeholfen: Der Sampler ANTHOLOGY (Music Maniac/ EfA) vereinigt alle A- und B-Seiten der gesuchten Objekte auf einer LP. Für Maniacs ein Muß. (5)
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