Rock-Spezial

Als Chris Desjardins die erste Gun Club-LP produzierte, bewies er bereits seinen unvergleichlichen Sinn für messerscharfe Porträts amerikanischer Tradition im Zerrspiegel der SOer Jahre. Nachdem seine Punk-beeinflußte Band Flesh Eaters nach drei LPs das Handtuch warf, formierte Chris D. mit der Sängerin Julie Christcnscn eine offene Band, und unter Mithilfe von J. L. Pierce, den Blasters und weiteren L.A.-Größen entstand das Album TIME STANDS STILL, eine Whiskey-schwangere Sammlung blutrünstiger Eifersuchts- und Rache-Balladen zu meist akustischer Gitarrenbegleitung.

Für das neue Album DEVILS RI-VER (New Rose/SPV) haben Chris und Julie nun eine schlagkräftige Rock-Truppe zusammengeholt, die sich Divine Horsemen nennt. Die kräftige Hau-RuckTnstrumentierung paßt großartig zum Duett aus Julies kehliger, fast wütender Cowgirl-Stimme und Chris‘ Whiskey-geschädigtem, weinerlichem Krächzen. Eine wunderbare Power-Platte für die Endphasen Eurer Parties, wenn Gut und Böse näher zusammenrückt und Liebe. Tod und Blut eins werden in der Western-Romantik einsamer City-Desperados. (6)

Dunkel glitzernde, metallische Soundkanonaden wie defekte, flakkernde Neonröhren waren die künstlerische Aussage der New Yorker Band Mars in den Jahren 1977/78. Heute hat Jim „Foetus“ Thirlwell das Gesamtwerk dieser geheimnisvollen, unterbewerteten Gruppe auf der LP SE-VENTY-EIGHT (RT-Import) zusammengefaßt und hier und da soundmäßig etwas aufgepeppt. Insgesamt eine harte Dröhnung, dämonische Stahl-Träume aus dem Maschinenpark nebenan. Gesang direkt von der Streckbank, zombiehafte Chöre. So weit wären Velvet Underground nie gegangen. Für Extremisten: (5)

Der gleichen Hörerschaft zu empfehlen wäre die Sängerin Diamanda Galas, die mit SAINT OF THE PIT (Mute) den zweiten Teil ihrer von E. A. Poes“.Masque Of The Red Death“ inspirierten Kompositionen vorlegt. Ihre Opern-geschulte Stimme mischt sich auch hier perfekt mit sphärischen Synthesizer-Klängen zu einer Musik, die eigentlich einer optischen Ergänzung bedarf, etwa Film oder Performance, um ihre ganze suggestive Kraft entfalten zu können. Als Platte allein hat diese Messe ein paar Längen. (4)

Eine Messe düsterer, bluesiger Verzweiflung zelebrieren Crime & City Solution auf ihrer zweiten LP ROOM OF LIGHTS (Mute). „Heiwuih god’s heel it’s one long grind“, singt Simon Bpnney auf“.Hey Sinkiller“ — und man ist überzeugt, daß dieser Mann in seinem Leben noch nicht viel gelacht hat. Die Musik unterstützt seinen Schwermut mit zähen, schleppenden Tempi, verzerrter Gitarrenbrei umquillt die ertrinkende Stimme, einsame Pianotropfen addieren einen Hauch himmlischer Romantik. Wahrhaft depressiv. (3)

Australiens Geheimtip The Triffids überraschen mit einem Album voller Aufnahmen, die im einfachen 8-Spur-Verfahren entstanden sind, noch dazu in einem zum provisorischen Studio umfunktionierten Woll-Lager. Seltsam festzustellen, daß Australier mittlerweile besseren und echteren Country-Rock spielen als vergleichbare Amerikaner. IN THE PINES (Hot Rough Trade) vergrößert den Mythos des weiten, unerschlossenen Kontinents, dem Land von Freiheit und Abenteuer. Zu Musik wie dieser fahrt man auf australischen Wüsten-Highways die 3000 km von Sydney nach Perth. Sie hat alle Feinheiten und Nuancen, um eine lance Reise erträglich zu machen. (5)

Der angesehene „New Musical Express“ stellt in Zusammenarbeit mit dem Rough Trade Label die stattliche Anzahl von 22 neuen englischen Bands auf einem einzigen Sampler vor. CLASS OF 86 (oder kurz C86) erschien zunächst als MC zur gleichnamigen Konzert-Reihe in Londons „Institute of Contemporary Arts“ und ist ob der großen Nachfrage nun auch in Vinyl erhältlich. Mighty Lemon Drops. Fuzzbox, Shop Assistants gehören zu den bekannteren Namen, auch der Rest bietet einen weitreichenden Überblick für Freunde junger Gitarrenmusik zwischen Smiths, Gang Of Four und Sixties-Beat. Rauh und herzlich. (4)

Das Innencover von A Certain Ratios neuer LP FORCE zeiut eine Gebirgswanderkarte des Montblanc-Massivs, was sich als durchaus passende Assoziation zur enthaltenen Musik entpuppt: unterkühlte Jazz-Funk-Rhythmen treffen eisblaue Melodien von der konstruierten Künstlichkeit der bunten Stahlrohrmöbel in der Skilift-Station. Eine schnelle Abfahrt ins Tal darf man von den ausgeruhten Yuppies nicht erwarten, statt dessen zieht die Musik spielerisch Spiralen im weichen Schnee nahe der Cafeteria. Eine Platte so nett und unverbindlich wie eine Urlaubspostkarte. (3)

Wer ein offenes Ohr für die Pop-Musik des nahen Ostens hat und auch vor traditionellem Gesang in Hebräisch bzw. Arabisch nicht zurückschreckt, dem sei YEMENITE SONGS (EfA) von Ofra Haza empfohlen, wo die Sängerin typisch orientalische Stimmführung im modernen, rhythmischen Gewand vorstellt. Die Schönheit und Lebendigkeit der Wüsten-Melodien bleiben trotz der differenzierten, durchsichtigen Produktion voll erhalten, die Klarheit des Klanges macht diese Musik auch für westliche Ohren zu einem Hörgenuß, öffnet ein weiteres Türchen zu Tausendundeiner Nacht. (5)

Wer gepflegten, intelligenten Brit-Pop im Stile von Orange Juice oder Monochrome Set liebt, sollte an den Briltiant Corners nicht vorbeigehen. Auf WHATS IN A WORD (RT-Vertr.) schreiben sie hübsche Songs mit lebensnahen Texten, sie könnten die Jungs von nebenan sein, die wenig reden und alles mit ihren Gitarren sagen. Sie haben Humor und sind genau das. was man im allgemeinen unter typisch englisch versteht. Fortgeschrittene aus der Pop-Schule. (4)

Die Karriere der Sydney-Band The Eastern Dark endete schnell und tragisch: Anfang letzten Jahres starb ihr Gitarrist/Songwriter James Darroch im Wrack seines Wagens, Schlagzeuger Geoff Milne überlebte schwer verletzt. Das letzte Vinyl der leidenschaftlichen Riff-Rocker und größten Ramones-Fans Australiens nennt sich LONG LIVE THE NEW FLESH! (What Goes On/EfA) und zeigt, welches Talent hier verlorenging. Die fünf Songs halten alle Versprechen ihrer Debüt-Single „Johnny & Dee Dee“. euphorische Hymnen an den R&R-Lifestvle mit schönen Harmonien und reißenden Gitarren. Schade, daß es schon vorbei ist. (5)

Ex-Gun Club-Gitarrist Ward Dotson und seine Pontiae Brothers spielen auf FIESTA EN LA B1BLIOTE-CA schweren Country-Rock mit poppigen Obertönen wie so viele amerikanische Bands, aber dieses Quartett baut daraus eine Art Konzeptalbum über die Abenteuer eines Dortjungen in der Großstadt. Nicht gerade das heißeste Eisen, doch ein musikalisch sehr ansprechendes Stück Musik zwischen Byrds. Richard Hell und The Kinks‚ SÖAPOPERA.(4) Wer wirklich an der musikalischen Grenze zwischen Genie und Wahnsinn interessiert ist. dem empfehle ich die Legendär) Pink Dots und ihr neues Album ISLAND OF JEWELS. Mit ihrer insgesamt siebten (!) LP legen die in Holland ansässigen Engländer ihr bislang wohl extremstes Werk vor. ein verwirrendes Kaleidoskop teils schöner, teils spröder Klänge. Vor verschachteltem Synthesizer-Background trifft sich Patrick Wrights klassisches Viola-Spiel mit Edward Ka-Speis versponnenen Texten, die an den frühen Peter Gabriel erinnern. Fern von allen Modeströmungen der Pop-Welt steht diese Band unbeirrbar zu ihrer ureigenen Musik und sollte endlich die verdiente Anerkennung finden. (5)

Nebenbei nahm L.P.D.-Sänger Ka-Spei ein Mini-Album mit dem Pianisten der kanadischen Formation Skinny Puppy auf. THE TEAR GARDEN zeigt Einflüsse von Steve Reichs Minimal-Musik, bringt aber mehr Abwechslung und wirkt dadurch zugänglicher. (5)

The Strangemen aus Berlin wissen, wie man eine problemlose Tanzplatte im trashigen Mod-Stil macht. Mit nur einer Gitarre, Baß und Schlagzeug gelingt ihnen auf ihrer Debüt-LP (Glitterhouse/EfA) ein ausgeglichener, melodischer Set ohne besondere Höhepunkte. Engagiert und stilsicher spielt die Band auf internationalem Niveau, daß die Miniröcke wippen. (4)

Die lokale Konkurrenz von The Chud macht mit ihrer Bubblegum-Psychedelia ebenfalls Spaß. Man hat das Gefühl, sie nehmen das ganze Psychedelic-Revival lange nicht so ernst wie manch andere. So ist SILHOUETTES OF SOUND eine Sehlagerplatte mit einigen guten Gitarrenlicks. (3)

Eine schmutzige Billig-Rock-Affäre erlauben sich The Mindblowers auf ihrer Debüt-Scheibe FEAR OF FAN-TASY (EfA). Manchmal gelingen ihnen primitive Swamp-Rock-Attacken mit verblüffender Leichtigkeit, dann wieder kann Sänger Sigurd Müller stöhnen und krächzen wie er will, ohne daß dabei die rechte Power rüberkommt. Mit ihren guten Ansätzen wirkt die Musik wie ein ungehobeltes Stück Mahagoni, rauh und mit gefährlichen Splittern, echt und hart. (4)