Andrian Kreye
Puristen haben noch Schonfrist. „Worldbeat“. die ultimative Crossover-Welle. ist von San Francisco aus noch nicht einmal bis zur Ostküste geschwappt. Dafür ist die Crack-Welle im sonnigen Kalifornien angelangt und hat die Fashion-Hip Hop-Truppe General Kane zu ihrer ersten Single „Crack Killed Applejack“ inspiriert. Bei extrem peitschenden Drumcomputern und scharf treibendem Streetbeat kann man ihnen den Zeigefinger verzeihen. Auf ihrem Debütalbum IN FULL CHILL (Gordy Motown 6216 GL) gebärden sie sich als L.A.s Antwort auf Füll Force: Satt produzierter Rap und aggressiver Soul vereinen sich zum brustbeinerschütternden Dancefloor-Sprengstoff. (5) Ansonsten gibt es aus dem Westen natürlich pfundweise Soft-Soul aus Hollywood, der Parties bremst und das Gehirn desodoriert. Lust auf mehr macht höchstens die Vorab-Maxi vom nächsten Gap Band-Album. „Big Fun“ (Total Experience 2701 TDBS) steigt mit afrikanischer Urwaldpercuassion ein und rollt dann zwischen Mainstream-Soul und New Yorker Schnellschuß-Hit dahin; die geklauten Jimmy Jam/Terry Lewis-Licks sind dabei reichlich überflüssig. Dafür zeigt die prägnante Synthie-Hookline. daß sie in New York gelernt haben, wie man im Ohr bleibt. Wenn die LP genauso ausfällt, dann hat die Gap Band ihr kreatives Loch überwunden — neue Ideen, nicht mehr so schwer wie früher, aber trotzdem noch genügend Groove im Bauch. (4) Inzwischen erzittern wirklich alle Dancefloors der westlichen Hemisphäre unter den platten Computerlinien der Chicago House Music. Bei extremer Lautstärke laßt sich ein Teil der neuen Produktionen inzwischen sogar aushalten. Nur die Hardcore-Platten kranken immer noch an Ideenlosigkeit. Schwer im Kommen ist zur Zeit Marshall Jeflerson. RIDE THE RHYTHM (Trax TX 121 A) hat außer einem unbeholfen poppenden Boogie-Piano nur die üblichen Hl Energy-Exzesse und phlegmatischen Soul-Vocals zu bieten. Eine Seite wurde von Ron Herdy, die andere vom Vater der House Music. Frankie Knuckles. gemixt. Die Unterschiede sind gering, gerettet haben beide nichts. (2) Dann lieber Cultural Vibes. die sich nicht darauf verlassen, daß die House-Fans alles schlucken, und deswegen etwas einfallsreicher produziert haben. Die Gesangsparts von MINDGAMES (Easy Street EZS-7527-A) bleiben im Ohr, Marimba-Soli und harte Breaks frischen das Maschinengeblubber gut auf. (4) Glitzer-Glitter-Lächel-Stampf: Das konnte nicht ausbleiben, der Altmeister der High Energy-Disco wurde wieder ausgegraben. Mezzosopran Sylvester hat sich nicht verändert und hämmert gute, altmodische Discomusik aus dem Computer-Terminal. SO-MEONE LIKE YOU (Megatrone/ Warner Bros.) wird House-Fans glücklich machen und Tanzflächen füllen. Nur zum Hören ungeeignet. (3) In New York hat nach wie vor Hip Hop-Produzent Rick Rubin die Szene in der Hand. Letzte Def Jam-Veröffentlichung ist die zweite Maxi von The Original Concept. „Bife’n My Stylee“ (Def Jam/CBS 44-05961-S1) ist eine gute Mischung aus schwer dröhnenden Rolling Drums, Reggae-Akzenten und einer Baßlinie, die klingt wie der Soundtrack zu einem Videospiel. Auf der B-Seite gibt es“.Pump That Base“ — Heavy Metal-Rap live mit Go Go-Choren und Scratch-Virtuosen.(4) Während sich die Heavy Metal-Rapper immer breitbeiniger gebärden, entwickeln die Kids von Uptown Harlem wieder Mut zur Pubertät. Allen voran Emanon Johnson, der — knapp 15 Jahre alt — gerade sein Debütalbum THE BABY BEAT BOX (Pow Wow PW 7403) veröffentlicht hat. Hip Hop goes Kindergarten — frischfröhliche Kinderlieder-Themen treffen auf Kirmesmusik und Streetbeat. Produzent Afrika Islam (einer der besten Scratcher derzeit) läßt Emanon viel Platz für seine Human Beat Box-Show, ohne das Mainstream-Publikum aus den Augen zu verlieren. Er hat die Rhythmtracks gut ausbalanciert, so daß ihm weder Radiohörer noch Hardcore-Freaks böse sein werden. Als Human Beat Box ist Emanon weitaus virtuoser als die Stars Doug E. Fresh und Buff. Sein MC brüllt dazu pubertären Stimmbruch-Rap ins Mikro. Gut geblödelt. (5) Die meisten kurzlebigen Sommerhits hat dieses Jahr Produzent Mantronik (die eine Hälfte von Mantronix) verbuchen können, der eine gute Handvoll Schnellschuß-Hits für Sleeping Bag Records produziert hat. Kein Entkommen gibt es vor dem etwas nervigen Genöle von Nocera, deren“.Summertime, Summertime“ (Sleeping Bag Records) auch im Spätherbst noch an jeder Straßenecke aus jedem Ghettoblaster scheppert. Der Refrain bleibt aufs penetranteste kleben, die quietschig naiven Vocals liegen über einem schlichten Hardcore-Streetbeat. (2) Da hatte Mantronik mit Just Ice, einem Berg von Rapper mit breitem Zahnspangengrinsen, eine glücklichere Hand.! „Black To The Old School“ (Fresh LPRE-1): harter, aggressiver Hip Hop mit Human Beat Box-Einlagen und einfallsreichen Rhythmtracks. (4) Dem Nachwuchs eme Chance — Sleeping Bag hat eine GREATEST MIXERS COLLECTION (Sleeping Bag TLX 005) herausgebracht. Acht gelungene Remixes von noch nie gehörten, aber hervorragenden Underground-Soulhits aus der gesamten Stilbreite von 70er-Jazz-Soul bis Salsa-HipHop. (5) Endlich gibt es Euren werten Rezensenten auf Platte: irgendwo mitten in der gröhlenden Go-Go-Party-Menge auf E.U.’s Livealbum TWÖ PLACES AT THE SAME TIME (Island 90536-1-Y). Letzten Herbst kamen die Kids aus Washington zum“.New Music Seminar“, um den New Yorkern zu zeigen, wie man Parties feiert. Die Party war fantastisch, der Live-Mitschnitt vermittelt einigermaßen gelungen die verschwitzt brodelnde Atmosphäre (E.U. hatten zwecks Stimmungsmache zwei Dutzend Hardcore-Go-Go-Freaks aus Washington importiert). Die zweite Seite wurde live im Power Station-Studio eingespielt und war schon mal als Maxi zu haben. E.U. sind eine junge Band mit Rock-Einschlag (herbe Gitarren), die Trouble Funk den Status der ungeschlagenen Nummer eins streitig machen. Sie können mit Soul genausogut umgehen wie mit ultrahartem Funkrock und spritzigen Jazzklischees. Außerdem haben sie einen ausgeglichenen Mittelweg zwischen Hardcore und Mainstream gefunden. (5) Zum Schluß noch eine Legende, die sich zurückmeldet: Billy Preston hat in seiner Wahlheimat Holland ein erstklassiges Soulalbum eingespielt. YOU CANT KEEP A GOOD MAN DOWN treibt einem einen Schauer nach dem anderen den Rücken hinunter. Billy Preston hämmert massiv in die Tasten und fällt nicht der Verlokkung seiner Synthies zum Opfer, sondern zeigt, daß man auf Flügel und Hammond-Orgel viel glaubwürdiger brillieren kann. Er kommt immer noch deutlich von Blues und Gospel und windet seine Stimme um hervorragende Themen. Soul wie er ursprünglich mal gemeint war. (5)
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