Funk/Soul

Die Londoner Trend-Scouts waren nicht müßig und haben uns für diesen Sommer „Garage Beat“ als neuesten schwarzen Trend aufgespürt. Diesmal führt uns der Weg in die Gettos von Chicago, wo die beiden Label „House Records“ und „D. J. International“ frische Kellerkinder ins Studio holen. Die ganze Geschichte ist leider Lug und Betrug. „Garage Beat“ ist lediglich ein dilettantisch produziertes Stilchaos, das mit billigen Computern zu dröhnenden Tanz-Maxis berarbeitet wird. Eine harte Elektro-Rhythmusspur mit High Energy-Qualitäten. darüber Dub-Reggae, rudimentärer Mainstream-R ’n‘ B, ein Schuß Hip Hop. ein Schuß Go Go — fertig ist der „neue“ Stil. In gehöriger Lautstärke macht’s Spaß.

Von den beiden „Garage Beat“-Maxi-Stichproben war eine sehr nett: „Love Can’t Turu Around“ (House Records FU-10-A) von Farley „Jackmaster* Funk & Jessie Saunders lebt von einer schön banalen Soul-Hookline und sperrigem Reggae-Piano. (4)

„Mistery Of Love“ (D. J. International DJ 892) von Fingers Inc. erinnert mich allerdings zu sehr an die Zeit, als die Italiener die Disco-Musik entdeckten. Die Baßlinie klingt nach Casio-Standard-Programm, der Drumbeat ist dünn und einfallslos — und was darüber passiert, ist kaum der Rede wert. (2)

Schade daß der Sommer schon fast vorbei ist. sonst wäre GOOD TO GO LOVER (Polygram 0704) auch bei uns die Tanzplatte der Saison geworden. Die Single „Ain’t Nothing Going On But The Rent“ war die anerkannt heißeste Single im Londoner Sommer. Zu recht. Gwen Guthries Stimme sprüht nur so vor Vergnügen und Soul-Fun — und die Rhythmusgruppen klingen wie Reggae-Bands. denen man eine Überdosis Speed injiziert hat. Sie hat diesmal selber produziert, aber Slv & Robbies Geist hallt nach (Sly hat den Drumcomputer für ein paar Nummern programmiert). Geniale Dynamik, treffsichere Themen und kompromißlos sonnige Grundstimmung — fast zu schade für den Herbst. (5)

Das Wahre, Schöne und Gute -— lauschet der Botschaft des Soul, wie sie Euch der Meister verkündet: Labet Euch am Körper Eures Nächsten. James Browns Kernpredigt „Sex Machine“ wurde leider von drittklassigen DJs., die damit auch die müdeste Dorf-Disco zum Toben brachten, gnadenlos zu Tode geritten. Doch warum um die Toten weinen? DEAD ON THE HEAVY FUNK 74-76 (Polydor 827439-1) kredenzt uns neun Juwele aus derselben Phase. „Superbad, Superslick“ mit relaxtem Jazz-Feeling: „Hot“, das die Rhythmusspur für David Bowies „Farne“ lieferte; verschwitzen Hustle-Groove zum „Future Shock Of The World“ – alles mit der zwingenden Wirkung von „Sex Machine“. Wir werden Jahre brauchen, um uns satt zu hören. (6)

Etwas profaner geht es bei Chuck Brown zu, der sich in erster Linie mit dem Thema Tanzen im allgemeinen und Go Go im besonderen beschäftigt. Auf CHUCK BROWN AND THE SOUL SEARCHERS LIVE (Future F 0007) hat er sich die Altmeister vorgenommen und eine ganze Latte Jazzstandards von Ellingtons „It Don’t Mean A Thing“ und James Moodys „Moody’s Mood“ bis zu Earl Hagens „Hadern Nocturne“ zum Go Go-Swing-Medley verarbeitet.

Bei allem Respekt vor seiner kehligen Stimme und der dicht zupackenden Band: Die Kurve hat er nur haarscharf genommen. Aber seinem Charme und dem bluesgetränkten Groove ist letztlich keiner gewachsen. (5)

In New York passiert wieder so einiges. Nicht nur. daß die Hip Hop-Szene zum Großangriff auf die Charts geblasen hat, auch die Hardcore-Funker aus den Kellern der Lower Eastside melden sich wieder. Bislang zwar nur mit dem Sampler THIS IS THE FUNK (Nektar 680014), aber erstens hat’s der in sich — und zweitens stehen diverse neue LPs ins Haus. Von James White And The Blacks zum Beispiel. Trotz relativ erfolglosem Start spielte er wie gewohnt Psychosen-Funk. Joe Bowie ist seit letztem Sommer von seinem Kuraufenthalt zurück und produziert mit Defunkt einen Höllendruck.

Des weiteren wunderbar herbe Ware von den Funktionaries, einer Riesenbesetzung um den Musikjournalisten Tom Ward. Schräg-Pop von den East Village-Lokalheroen Foreign Legion, Slickaphonics-Ähnliches von den Liquid Hips, ausgefeilt melodiöser Funk mit der Gruppe des Defunkt/ Nona Hendryx/Arthur Blythe-Gitarristen Kelvyn Bell. Kelvynator, altbewährter P-Funk von Prince Charles & The City Beat Band, störrischer Soul-Funk (MG’s Funk Posse, mit Bassist Melvin Gibbs) und breit angelegter Tanzstoff von I.Q. Alles pure, echte Musik ohne Computer-Tricks oder Attitüden. Die vielen neuen Namen kann man sich ruhig merken. (5)

Aber nichts gegen Computer. Vor allem nicht, wenn sie von Full Force programmiert werden. Auf ihren eigenen Platten beschäftigen sie sich noch mit Musik, aber bei ihren Schützlingen kommt der Brutal-Groove aus der Diskette nackt und ungebremst. Wie bei U.T.F.O.’s (Untouchable Force Organisation) zweiter LP SKEEZER PLEEZER (Select 21616). Die Rhythmusspur ist höllisch aggressiv und trotz extremer Sparsamkeit so raffiniert ausgeklügelt, daß man fast vergißt, daß der Schub aus Maschinen kommt. Darüber noch einfallsreicher Rap — was braucht’s mehr, um auf der Tanzfläche die Sicherungen durchbrennen zu lassen? (5)

Während U.T.F.O. für die tanzwütigen Kids gemacht ist, produzieren Full Force auf ihrem eigenen Neuwerk FULL FORCE GET BUSY I TIME (CBS 40395) New York Black Music für die ganze Familie. Da freut sich auch der jazzbegeisterte große Bruder und die soulverliebte Schwester.

Nein, nein, kein Ausverkauf durch Mainstream-Aufweichung und Stil-Wirrwarr! FUll Force vollbringen das Kunststück, die gesamte schwarze Musik in eine zeitgenössische Sprengladung zu packen. Sie haben seit dem Debüt nicht viel geändert, nur daß sie ihr Konzept, über knallharten Hip Hop-Beat breite Soul-Vocals und satte R’n’B-Riffs zu legen, noch konsequenter und gelungener durchziehen. Dazu verspritzen sie optisch und akustisch dicke Ladungen herb männlichen Sex Appeals. (6)