The Call – Reconciled

So kann es gehen: Gestern noch ein Flüstertip trendbewußter Kritikaster, heute schon eine MÜV-geprüfte Nummer eins.

The Call aus Kalifornien, seit ihrer zweiten, 1983 erschienenen LP MODERN ROMANS bei dem musikerfreundlichen Elektra-Label zu Hause, gehören — ähnlich wie R.E.M., die Violent Femmes, Guadalcanal Diary oder die 10 000 Maniacs —- zur jungen Musiker-Generation der USA. Der Unterschied zum herkömmlichen Breitwand-Rock amerikanischer Herkunft besteht in der Hauptsache darin, daß Inhalt über die Form siegt, daß Perfektionismus durch Passion ersetzt wird und die Gleichung „chartability = credibility“ nicht länger aufgeht.

Kein Wunder, daß die Straße des Erfolges für die meisten Bands dieser Art übers Ausland führt. So auch für The Call. Das Debütalbum des Quartetts entstand 1980 in England; wo die treuesten Call-Fans zu finden sind. Auch mit RECONCILED, so darf man annehmen, wird der Formation um Gründer. Hauptkomponist und Mastermind Michael Been in ihrer Heimat Breitenwirkung versagt bleiben.

Been setzt auf eine Mischung aus Moll und morbid. Unkommerziell sind die Klänge von The Call deswegen noch lange nicht. Im Gegenteil! Der durchgehende Basis-Beat — ein wichtiges Haudrauf ohne filigrane Schnörkel — geht direkt ins Tanzbein und gibt den (manchmal zu einheitlich instrumentierten) Stücken den nötigen Rückhalt. Der Bandleader, der auch für die Produktion verantwortlich zeichnet, versteht sich glänzend darauf, einfache Gitarrenriffs, gezupfte Akkorde, simple Baßfiguren, kurze Chorpassagen und spieldosenartige Keyboardeinlagen ineinander zu montieren. Sein dramaturgisches Ziel heißt Spannung. Formal erinnern Been und Co. an U2 oder ihre früheren Labelkollegen The Doors, die die Kunst der langsam entwickelten, drängenden, dräuenden, auf Höhepunkte abzielenden Psycho-Thriller zur Meisterschaft brachten.

Die gelungensten Beispiele Call’schen Songverständnisses findet man auf der ersten Seite. Da ist das kanonartige Staffeln von Gitarre, Baß und Schlagzeug bei „The Morning“, das fordernde Liebesgeheul „Everywhere 1 Go“, das rhythmisch unruhigere „Blood Red (America)“ und — eindeutiger Höhepunkt — das dunkle Epitaph „I Still Believe (Great Design)“: „People like us in places like this/we need all the hope we can get.“