Grenzmusik

Einen höllischen Einstieg hat die Rochester Veasley Band mit ihrem auch vom Cover her überzeugenden Album ONE MINUTE OF LOVE (Gramavision) hingekriegt. Die verschärfte Mischung aus Funk. Rap. R&B und Jazz ist ein energisches Anti-Depressivum: stets lustvoll, meist schräge und in jedem Fall aus der Reserve lockend. So zupackend haben der Bassist (und Sänger) Gerald Veasley und Drummer Cornell Rochester bislang allenfalls in der ungestümen Anfangsphase des Odean Pope Trio gespielt. Unter den Gästen: James „Blood“ Ulmer. John Zorn und der Keyboarder Uri Caine. dessen Sounds viel zum Charme dieses Volltreffers beitragen. (5)

Der britische Saxer Xero Slingsby glaubt, daß sein „Jump Junk Jazz“ auch Leuten in die Beine fährt, die Jazz eigentlich nicht mögen. Sie dürfen ihn gar nicht mögen, denn was der wilde junge Mann mit Baßmann plus Drummer = The Works auf SHOVE IT (PAAN/EfA) bietet, ist eine nervöse Skelettmusik, rotzfrech danebenintoniert — und am ehesten als LiveGag akzeptabel. (3)

Dann doch lieber ein paar Bläser mehr, ein breites Ideenspektrum (Rock. Funk. Avantgarde) und vor allem flippiger Humor, der Maestro Zappa alle Ehre machen würde. Etwas ungehobelter geht es schon zu bei Doctor Nerve, Mit Bläsern. Gitarre und einem Vibraphon macht der Weißkittel Nick Didkovsky Jagd aut frische Könige“: OUT TO BOMB FRESH KINGS (No Mans Land Rec. knapp: 5)

„Neues aus der alternativen Blasmusikszene“ könnte man die 15-Mann-Band Dicke Luft aus Köln ankündigen — wenn es sie nicht schon seit sieben Jahren gäbe. Aber HALB SO WILD – WIE SCHLIMM! (Riskant) ist die erste Platte der längst nicht mehr amateurhaften Jungs und Mädels, die da kaum weniger links und radikal in die Hörner blasen, als ein legendäres Sponti-Ensemble aus den 70ern.

Aber die Kölner haben’s eher mit Willem Breuker, spielen auch mal einen Choral aus der Matthäus-Passion und sind nicht zuletzt zwingend komisch (was ihren Deutschlandlied-Walzer für das ZDF untragbar scheinen ließ). (4)

Nicht weniger bunt als sein Cover für BEST WISHES (No Mans Land Rec.) fiel das von Jad Fair in kleinsten Happen servierte musikalische Menü aus. Wer die 3-LP-Box „1/2Gentlemen/No Beasts“ der legendären Brüderschaft „A Japanese sein eigen nennt, sollte sich das Instrumental-Solo des einen Japaner-Viertels (?) nicht entgehen lassen. Klangfetzen, Studiobasteleien, Zwitscher-Swing aus obskuren Maschinen, Marsch und Rockabilly — Spinnerherz – was willst du mehr? Knapp: (4)

Vom gleichen Label noch eine Band aus Frankreich. FACE AUX ELEMENTS DECHAINES ist das sechste Album von Etron Fou Leloublan, einem Trio, dessen Besetzung (Keyboards, Baß, Schlagzeug) Jazz vermuten läßt. Aber alle drei Herren singen, und die Einflüsse bewegen sich eher zwischen frankophiler Avantgarderock-Szene und Captain Beefheart. Daß auch Chanson und Volksliedhaftes nicht zu kurz kommehr, war Ehrensache. Knapp: (4)

„Seine Songs sind bösartig, hämisch, höhnisch, geschmacklos“, moserte die FAZ zum Thema Christopher Newman. Der Engländer studierte bei Mauricio Kagel, nennt seine Gruppe Janet Smith und jault zum Steinerweichen. Trotz allem ist nicht zu überhören, daß sein PREHISTORIC ROCK von studierten Avantgardisten in Szene gesetzt wurde. (Review, 3)

Ferdinand Richard, Basser bei Etron Fou Leloublan, spielt mit Alfred Hearth (Cassiber) und Steve Beresford (Frank Chickens) in der Formation Gestalt et Jive. Sperrige Rhythmen, bewußt schäbige Klänge (verstimmtes Klavier, Farfisa Orgel). Und doch ist NOUVELLE CUISINE auch schön — im Sinne der „schönen“ Goebbels & Harth-LPs. (Moers, 3)

Angenehm, ohne glatt zu sein, hört sich THIRD KIND OF BLUE an, der Erstling eines Trios um den Multiinstrumentalisten (vor allem Holzblasinstrumente) John Purcell. Man spürt, daß er viel in Salsa-Bands gespielt hat; aber auch Swing und Funk prägen das Album, dessen satt abgemischte RJiythmussektion direkt auf die Magengrube zielt — und das mit klassischer Eleganz! (Minor, 5)