Jazz

Selten ist ECM-Kammermusik so vielfältig wie auf CROSSING, dem letzten Album, das der 1984 tödlich verunglückte Tabla- /Sitarspieler Collin Walcott mit Ralf Towners Gruppe „Oregon“ aufgenommen hat. Originelle Instrumentierung (Oboe, Prophet 5) und bei aller Komplexität eingängige Melodien lassen das romantisch- meditative Anliegen symphatisch werden. (5) Tradition oder Avantgarde – was schert’s das Quintett des Bassisten David Holland? Die Bläser Kenny Wheeler, Steve Coleman und Julian Priester spielen ausgeklügelte Sätze, improvisieren meist im Kollektiv und steuern zu SEEDS OF TIME (ECM) allesamt phantasiestarke Kompositionen bei. (5)

Vier Jahrzehnte Repertoire-Geschichte vom Swing bis McCoy Tyner umspannt GOOD BAIT (4), das Debüt des neuen Landmark- Labels, hinter dem kein Geringerer als Orrin Keepnews steckt. Vibraphonist Bobby Hutcherson fand gestandene Sidemen, ohne dass von der geballten Souveränität ein wirklicher Kick ausginge – wie auf dem ähnlich besetzten Vorgänger FOUR SEASONS (Timeless, 5).

Auf Landmark erschien auch THE JACK DEJOHNETTE PIANO ALBUM. Seit eh und je spielt der Schlagzeuger auch Klavier. Was bei Aufnahmen mit seiner „Special Edition“ für willkommene Abwechslung sorgte, verkommt hier zur Demonstration fingerflinker Modalität (Coltrane-Titel) und stilistischer Aufgeschlossenheit (Cyndi Laupers „Time After Time“ als zickiger Slow-Funk). Überflüssig trotz Eddie Gomez am Baß und Freddie Waits an den Drums. Knapp: (3)

Beweisnot auch auf dem ersten Solo-Album von Klaus lgnatzek? Der vielversprechende Pianist läßt es nicht beim Jazz bewenden. Sein MAGIC SECRET (Nabel) überschreitet die Grenze zur zeitgenössischen E- Musik, wobei meist mit dem roten Faden auch die Spannung verloren geht. (4)

Weniger diffizil, schon eher aufregend: das Trio Dioko aus Köln. Georg Ruby, Pianist der JazzHaus Big Band, mag sich weder auf traditionelle Chorus-Impros noch auf Freejazz-Ekstase festlegen lassen. (4)

Noch ein Mann der Tasten: Dass Kenny Barron mehr ist als ein zuverlässiger Bebop-Begleiter, beweist er auf SCRATCH (ENJA) zusammen mit Dave Holland und Daniel Humair: treibender Modern-Jazz zwischen Monk und Tyner, Dollar Brand und Cecil Taylor. (5)

Wer Manhattan Transfer je live erlebt hat, wird die Glätte ihrer Studio-Produktionen bedauern. Der Perfektionismus hat seinen Stellenwert, je mehr sich das Gesangsquartett dem „sophisticated pop“ nähert. Aber VOCALESE (WEA) ist ein Bekenntnis zu Seat und Close Harmonies in der Tradition von Lambert, Hendricks und Bavan. Trotz engem Produktions-Korsett wird dieser hohe Anspruch eingelöst. (4)

Auch Flora Purim hat auf der Bühne mehr zu bieten. Immerhin: HUMBLE PEOPLE vereint die subtile Klangmalerei früher Airto-Songs mit tanzbaren Reggae- und Samba-Klängen. (4) Wer puren Jazz vorzieht, der wird eher mit Jorge Dalto glücklich werden. Flöte und Latin-Percussion prägen die „Interamerican Band“ des Keyboarders. Gitarrist Peter Sprague aus San Diego spielt auf der A-Seite von NA PALICOAST akustischen Latin-Jazz à la Chick Corea, bei dem er auch den Flötisten Steve Kujala ausborgte. Dann greift er zur elektrischen Gitarre, um bekanntes Material „im Geiste Coltranes“ nicht minder elegant zu interpretieren (4, alle: Concord).

Fusion-Telegramm: THE SKY IS THE LIMIT – für die Banalitäten eines Alphonse Mouzon – unterboten nur von Deodatos Klatschmaschinen- Orgie MOTION; freundlich- belangloser Westcoast- Rockjazz auf diversen LPs des amerikanischen Pausa-Labels, das mehr als nur diesen zu bieten hat (Warnsignal: Dan Siegel als Keyboarder oder Produzent); verschärfte Bläser, knackiger Funk: HUBBARDS CUBBARD (Coda) steht bekannten Vorbildern in nichts nach; Keiser Twins: Zwei Schweizer veredeln ihren saftigen Jazz-Pop durch Jan Schaff er an der Gitarre (Phonag); bei Spyrogyra ist die Rock-Gitarre ausgebrochen: fetzig, aber Vibraphonist Dave Samuels hat nicht mehr viel zu vermelden; Saxer Ernie Watts breckert mit Don Grusin zwischen Ritenour und Sanbom; Kollege Sado Watanabe tut desgleichen (beide WEA); Bassist Alex Malheiros bleibt der Musik seiner Stammband Azymuth treu (Fantasy); Phil Upchurch macht vokale Langweiler durch relaxte Gitarren- Soli wett; Les McCann den Mangel an Neuem durch Live-Atmosphäre (beide Virgin).