Grenz-Patrouille

Zwei erfreuliche Maxis: Mit der US-Sängerin Anna Domino hat das Kölner Label Fünfundvierzig (man teilt sich die Räumlichkeiten mit Eigelstein) die Nase vorn im Popjazz-Trend: Sade. Tracey Thorn und Annabel Lamb mögen genauso cool swingen. Anna aber klingt unbefangen ehrlicher. (5) Nicht nur für Turbanträger: Koran-Funk von den scheinheiligen Dissidenten. Auf CASABLANCA (Exil/EfA 5504) sind nur die imitierten Berberfrauenschreie schwach. Ansonsten rapt der Muhezzin und das Kamel wiegt sich im Discoschritt. (4) Frivole Popmusik ist so ziemlich das einzige, was Rene Lussier nie und nimmer spielen würde. Der kanadische Gitarrist steht Fred Frith nahe. l Frank Zappa oder Carla Bley: Zwischen allen Stühlen von Konzertsaal und Dance-Hall. Trotz ( wilder Improvisationen kein Jazz! FIN DU TRAVAIL ist ein aberwitziger Abkömmling der Bastardkultur in Montreal: Stilchaos – fast alles scheint möglich. (5) Kanada hat beileibe nicht nur Saga zu bieten: Wie Rene Lussier gehörte Andre Duchesne einst zum Streichquartett Conventuum. Er singt auf LE TEMPS DES BOMBES ironisch verspielte Chansons mit kuriosen Rockeinflüssen und französischen Texten. (4) Unerhört – wie auch die meisten Hörproben auf der ersten Alchemy-Cassette. (4) Die erscheint – eingeklebt in ein Magazin – als „Medium für außergewöhnliche Musik“ von Lol Coxhill bis Danielle Dax vierteljährlich beim Würzburger Recommended-Vertrieb. der auch für die Kanadier (siehe oben) zuständig ist.

Noch eine von Recommended importierte Obskurität: OSSIFICATION ist das Gemeinschaftswerk zahlreicher Musiker (Bandname: Officer) um Mike Hobbs (Ex-„Work“). Britisch-skurril im Geiste von Henry Cow und der Incredible String Band. Entsprechend die Zutaten: Artschool-Rock und unschuldige Mädchenstimmen. (4) Düster angepunkter Hardcore-Jazz aus England: auf JACK (EfA 4504) singt Chrissy McGee und die Herren strapazieren Gitarren. Baß und Schlagzeug. Trotz überraschender Geigen- und Cello-Beimischungen spielt Bone Orchard vor allem für Nick Cave-vernarrte Horror-Lovers. (3) Der krassest denkbare Gegenpol: Pianist Chick Corea und Jungflötist Steve Kujata begeben sich auf eine kultiviert plätschernde VOYAGE (ECM 1282) in das Reich moderner Kammermusik. Harmonisch delikat, aber angesichts arger Esoterik nur für standhafte Fans abendfüllend. (3) Besser bekommt der E-musikalische Einschlag dem zweiten Album LE DERNIER TANGO des Bandoneon-Virtuosen Luis Di Matteo (JARO4121). Wirkte sein Debüt im Vergleich zu Mosalini und Saluzzi enttäuschend blutarm, so tragen diesmal ausgerechnet Dozenten der Musikhochschule Detmold mit Piano und Oboe zu einer lebendigeren Platte bei. (3) Apropos Mosalini: Den und andere „Ethno-Jazzer“ (Gurtu, Mariano und viele mehr) lockte Jazz-Papst Berendt zum „New Jazz Meeting“ nach Baden-Baden. Aber sein WORLD MUSIC MEETING (EfA 13-6024) fiel leider etwas bemüht aus: Wichtige Musiker, den unterschiedlichsten Kulturen verpflichtet, sind keine Garantie für überzeugendes Zusammenspiel. Bis auf manche Highlights (meist Duette: Melodie-Instrument/Percussion) und die spannende Bonus-Single (swingender Pußta-Tango) sind mir die Alben der einzelnen Mitwirkenden lieber. (3) Daß folknaher Jazz auch für Popfans interessant sein kann, beweist der indische Geiger Shankar mit seinem SONG FOR EVERYONE (ECM 1282). Sogar den Einsatz einer Drum-Maschine hat er riskiert. Ansonsten Percussion und Jan Garbarek! Das Nordlicht wächst über altbewährte Saxklänge und Melodiemuster hinaus. Eine eingängige Synthese von Tradition und Moderne, Ost und West. (4) Zusammenzw/ngen läßt sich ja so ziemlich alles: Der Elektronik-Virtuose Vangelis braucht auf MARK (Polydor 825 245) denn auch sechs „Movements“. um seinen Synthesizern das Hosiannah beizubringen. Chor und Orchester steuern Orffsches in homöopathischer Verdünnung bei. Eine wahrhaft gigantische Geschmacklosigkeit. (2) Und es ist immer knapp unterhaltsamer als der jüngste Streich des Frank Zappa: FRANCESCO ZAPPA (EMI 270 2561) heißt sein Instrumentalalbum, für das er die 200 Jahre alten Menuette eines (hausgemachten?) Italieners (1763-88) gleichen Namens am Synclavier erklingen läßt. Frankie say: for dishwashing. Mich würde das pseudobarocke Gezwitscher schon bald zum Tassenwerfen in Richtung Plattenspieler animieren. (2)