LIEDERMACHER
Man kann nicht alles haben. Aber Stefanie Werger hat viel, wie ihre dritte LP WENDEPUNKT (Phonogram 821225) zeigt: Mut zur Ehrlichkeit, wenn sie von ihrem Gefühls- und auch Kalorien-Haushalt berichtet. Eine angenehme Prise Witz und Ironie, wenn sie ihrem Klavier ein Liebeslied widmet oder als Vollweib in „Heat Of The Moment“ rät: „Sog, es wird später“. Und vor allem eine Stimme, die in energiereicher Kratzbürstigkeit an Maggie Bell oder die frühe Joy Flemming erinnert.
Sie nähert sich immer mehr dem, was man einen eigenen S.til nennen kann. Von daher ist der LP-Titel fast verständlich. Musikalisch immer selbständiger (auch wenn, na wer schon, Christian Kolonovits manche Querstrebe ins Söundgebäude eingezogen hat) und textlich wesentlicher (von Holzhammer-Reimen in „Ä grünes Manderl“ abgesehen), hält Stefanie Werger, was das sympathisch ehrliche Coverfoto verspricht, (4/5) Bleiben wir noch in Wien. Während hierzulande engstirnige Plattenmanager wie im Fall Heller/Wekker gemeinsame Aufnahmen mit Paragraphen-Druck verhindern, konnten Ambras + Fendrich ihr Konzert im Wiener Weststadion daheim auf „Atom“, nun bei uns auf Phonogram veröffentlichen.
Wozu sich nochmals Titel anhören, die’s auf den LPs der Beiden längst gibt? Weil die euphorische Konzertsituation sich in kraftvollen Interpretationen abbildet und der Voll- und Halb-Rocker angesichts der Massen zu Hochform auflaufen. Welchen Stellenwert vor allem Ambros an der Donau hat, läßt sich am mitsingenden Publikum überprüfen. Und wenn dann die beiden Freunde „Nie und Nimmer“, „Es lebe der Sport“ und „Schickeria“ gemeinsam, wenn auch nicht immer passgenau (was soll’s) singen, ziehen auch ihre Musikanten vom Leder. Eine runde Sache, soundtechnisch erstklassig. (5) Bernie’s Autobahn Band, folkige Muntermacher der Live-Szene, haben mit dem neuen E-Gitarristen Wolfgang Schmidt den Weg in rokkige Gefilde eingeschlagen, auch wenn die musikalische Vorgeschichte klar mitklingt. GESELL-SCHAFTSSPIEL (Wundertüte) versammelt Themen wie AusländerMord in der Disco, Beziehungsi Schwierigkeiten, Ratlosigkeit von Aussteigern und Arbeitslosen und die fällige Story vom Bagger-Typen.
Der klare Blick für die Umwelt wird mit Spielfreude und Witz ver-, süßt. Erneut dominiert Sänger und Stückeschreiber Bernie Conrads, Die B-Seite der LP klingt durch abwechslungsreichere und amüsantere Arrangements erfrischender und enthält mit „Was ist los“ den vielleicht besten (Blues-)Song der Autobahner seit längerem. (3/4) Robert Long, in Holland einer der ganz Großen, ist bei uns einer der ganz Raren. Immer noch wartet man auf seine Konzerte, er spielt lieber Theater daheim. Einzige Neuigkeit: Nach drei Jahren die dritte deutsche LP, TAG KLEINER JUN-GE(Polydor). Wie gewohnt pendelt Long zwischen Nachdenklichkeit und Ironie. Auffällig bei seinem Abschied von der Kindheit (auch Aznavour und Horton nahmen übrigens den 40. Geburtstag zum Anlaß für Memory-Alben) ist der geballte Themenkreis Abschied/alte Leute, den eigenen Grabspruch inklusive. Cool und bissig der Reggae über die Recht- und Ordnung-Freaks, gelungen die Übertragung des Problems der verschwundenen südamerikanischen Regime-Gegner in eine hiesige Kulisse. (4) Schließlich etwas für Spezialisten und Leute ohne Scheuklappen: CREUZA DE MAE (Dischi Ricordi), die neue LP von Fabrizio de Andre. Der Großmeister der „Cantaurori“ bürdete sich die Sisyphus-Arbeit auf, die Kultur des Mittelmeerraumes auf sieben Lieder, besser Wort-Klang-Kombinationen, zu konzentrieren. Türkische Oboe, griechische Bouzouki, arabische Laute und andere mediterrane Instrumente verband er mit Texten in seiner Muttersprache Genuesich zu einer Reise nach Takt und Ton, die Bilder auslöst. Und vielleicht den Wunsch, auch mal seine Geschichte kennenzulernen.
Übrigens, de Andre schaut dem Volke ohne Kompromisse auf’s Maul und unter den Rock. Und wie in jedem Dialekt klingt dabei zuweilen zärtlich, was sich in der Hochsprache- und damit auch den deutschen Übersetzungen – nur vulgär ausnimmt. Doch Pornographie steckt in der Tagesschau viel mehr.
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