Elektronik/Avantgarde
Die elektronischen Tasteninstrumente ziehen sich wie ein roter Instrumentierungs-Faden durch die nachstehenden Produktionen, auch wenn akustischen Instrumenten stellenweise der Vorzug gegeben wird. Im Fall von Meredith Monks TURTLE DREAMS (ECM 1240) fallen die E-Orgeln sogar aus dem Rahmen, wenn man die explosiven Ausbrüche der Frauenstimmen, die sich in allen möglichen Schattierungen artikulieren, als lebendigen Kontrast zu den monotonen Tasten-Ostinati verstehen will: Mechanisierte Maschinenwelt (Orgeln) im Gegensatz zum Menschlich-Urtümlichen, das wie ein Aufschrei zur Geltung kommen will. (4)
Philip Glass, der wie Meredith Monk an multimedialen Performance-Acts arbeitet, hat für das Theaterstück „The Photographer“, das in kombinierter Dreiakt-Folge von Schauspiel, Konzert und Tanztheater das Wirken des amerikanischen Pionier-Fotografen Eadweard Muybridge resümiert. 45 Minuten Musik für Frauenchor, kleines Bläser- und Streicher-Ensemble, Violine und Tasteninstrumente geschrieben (CBS FM 37849). Freunde von Glass-Werken, die hier etwas Neues entdecken wollen, werden allerdings enttäuscht sein: Die gewohnten Rezepte aus der Minimal-Music-1 Küche finden hier wieder reichlich Verwendung. (3)
Philip Glass tritt zusammen mit Kurt Munkacsi auch als Produzent von Ray Manzareks Versuch auf, die CARMINA BURANA von Carl Orff in einer zeitgenössischen Version zu interpretieren (CBS AMLH 64945). Interessant dabei erscheint, wie homogen die Jazz-Rock-Elemente in die Originalpartitur, die mit Chor und diversen Keyboards umgesetzt wird, eingearbeitet werden. (4)
Schwere, meditative Sequenzen-Gänge der tiefen Streicher bestimmen die Einleitung von „Pruit Igoe“, einem Cut aus dem Philip Glass-Soundtrack des eindringlichen Films KOYAANISQUATSI (Island 205626), der- radikaler noch als die Werner Herzog-Filme – ohne Dialog und Erzählhandlung einen Einblick in das hochtechnisierte Leben unserer Zeit nahelegt, ein Film, der en Fortschnttsbegriff auf den Prüftand bringt, um in Gegenüberstellung mit den Prophezeiungen der Hopi-Indianer zu einer katastrophalen Gesamtschau zu kommen. Diese Prophezeiungen werden in der Hopi-Sprache von einem Vokal-Ensemble gesungen, umrahmt von getragenen Orgel-Meditationen. (4)
Von diesem Film und seinem Filmkomponisten zeigt sich der Jazz-Veteran Jean-Luc Ponty laut eigenen Angaben stark beeindruckt, seit er die Effekte seiner E-Violine nicht mehr nur für aufputschenden Jazz-Rock-Drive heranzieht, sondern mit Echos und Digital-Delays die „kosmischen“ Dimensionen des Instruments entdeckt hat. Die psychedelische Komponente seiner Musik stellt er von LP zu LP stärker heraus: bei der aktuellen Produktion INDIVIDUAL CHOICE (DGG 817 189-1) ist nur noch eine typische Jazz-Rock-Nummer vertreten; besonders im Titelstück und in „Eulogy To Oscar Romero“ wird die kompositorische Verbundenheit mit der Minimal Art bzw. „transzendentalen“ Elektronik deutlich. (4)
Choräle und Psalmen werden auf Ryuichi Sakomotos neuer LP MERRY CHRISTMAS MR. LAW-RENCE, dem Soundtrack zum Film „Furyo“, gesungen bzw. instrumental zelebriert. In „The Seed And The Sower“ trällert ein Männerchor in barock-manirierter Choraltradition einen Psalm, begleitet von festlichen (synthetischen) Orgelklängen. Dominierend von der Thema-Melodie, die die fernöstliche Reihentechnik aufgreift, herrscht bis zum Schlußtitel eine düster-verhangene, manchmal gespenstische Grundstimmung. Die programmatischen Untertitel weisen auch assoziativ auf die jeweilige Filmszene hin. Sakomotos Spezialität ist die Kombination von Gamelan-Percussion mit täuschend ähnlich simulierten Synthi-Effekten. (4)
Ein anspruchsvolles Projekt bieten die Musikakademiker Raven Kane, Sängerin mit vielseitigem Profil, und Klaus Netzle, ein ebenso schillerndes Phänomen (Teldec 6.25762). Eine fünfseitige informative Textbeilage und die ab? gedruckten Texte führen in die Hintergründe des Konzepts ein: Ausgehend von den negativen Phänomenen, die sich in der kalifornischen Computer-Metropole SILICON VALLEY (LP-Titel) abspielen, werden Schlaglichter auf unsere Zeit geworfen, aber nie als übersteigertes „1984“-Horror-Panorama; gestörte zwischenmenschliche Beziehungen, faschistoide Einstellungen im Zuge der Gen-Manipulation, Leistungsfetischismus, Umweltzerstörung werden thematisiert; (4) In das Fahrwasser des stromlinienförmigen British-Synthi-Pop geraten zwei Aktualitäten von Berlinern, mal mit mehr Kanten bei Peter Baumann (STRANGERS IN THE NIGHT, Ariola 205 970), mal geölt wie bei den Twins (A WILD RO-MANCE, Ariola 205 882), aber immer mit den bekannten Charakteristika: Minimalmotive, einprägsame Refrains, perkussive Einwürfe bei oft mehrstimmigen, elektronisch verfremdeten Rhythmus-Strukturen. (Beide 3)
Mehr News und Stories