Miles Davis :: We Want Miles

Jazz-Kritiker in England und Amerika bejubeln diese Veröffentlichung als bestes Mills-Davis-Album seit 1968. Vermutlich soll das heißen, daß dies seine seither Jazzigste“ LP sei. Dies sei auch die erste Miles-Davis-Platte, auf der sich eine Art persönlicher Retrospektive abzeichnet.

WE WANT MILES vermittelt tatsächlich den Eindruck, als sei es in den späten 60ern entstanden, noch vor dem allgemeinen Schock, den das unbarmherzig rockige MILES AT FILLMORE (1970) auslöste. Ich habe das Gefühl, daß Miles hier nach längerer Krankheitspause sein eigener Schrittmacher ist und sich auf die Art wieder gemächlich in die moderne Musik zurücktastet. Aber ganz gleich, welche Philosophie hier zugrunde liegt – diese Platte ist einfach grandios.

Der Sound kommt viel rationeller und sauberer als bei den letzten Miles-Davis-Formationen. Miles verzichtet auf den harten nasalen Klang der Wah-Wah-Trompete, inzwischen ja fast ein Markenzeichen. Stattdessen besinnt er sich auf den behutsam geblasenen Sound einer gedämpften Trompete. “ Wie ein Mann, der über Eierschalen schreitet,“ beschrieb der bekannte Kritiker Whitney Ballit diesen Stil einmal Noch eine markante Veränderung: an die Stelle des Zweiergespanns an den Rhytmusgitarren, Reggie Lucas und Pete Cosey, trat jetzt Mike Stern, dessen Stil .weißer“ ist, sozusagen. Er bemüht sich um eine Verbindung aus flinken ieix>p-Folgen und nahzu Hardrock-ähnlichen Einzelton-Ketten. Für Kontinuität innerhalb dieses Konzeptes sorgen Drummer AI Foster und der brillante Bassist Marcus Miller, wohingegen Miles seine Exkursionen eher funky gestaltet.

Als größte Überraschung entpuppt sich eine 20-Minuten-Version von „My Man’s Gone Now“. Davis spielte dieses Stück erstmals 1958 auf dem PORGY AND BESS-Album, Hier nun gerät es zu einem Abriß sämtlicher Stilrichtungen, die Miles kultiviert hat. Das Stück wird eingeleitet durch einen Keyboardlauf (kein credit, vermutlich aber von Miles eingespielt), geht über in streng strukturierten Funk, farblich aufgelockert durch afrikanische Percussion. Und dann… erscheint der Mann mit dem Hörn auf der Szene. Bei diesem Hauch von Klang fallen die Jahre einfach ab; ein Gedicht – so rein und so traurig.

Die junge Band macht sich ebenfalls gut in diesem Jazz-Gefüge. Marcus Miller spielt einen überzeugenden walking bass auf seinem Fender. Doch musikalisch herrscht hier nur ein ständiger Garungsprozess, jede Stilrichtung wird nur angerissen.

Am Ende erscheint es wie ein Statement Davis‘ über die dauerhaften Qualitäten des Jazz und die Werte der Tradition. Einer Tradition, die er natürlich maßgeblich selbst miterrichtet hat. Welcome back, Miles!