Heinz Rudolf Kunze – Eine Form Von Gewalt

Ohne Zweifel gehört H.R. Kunze nach seinem Debütalbum, mehr aber noch durch den intensiven Eindruck, den seine Konzerte hinterließen, zu den wichtigsten Songschreibern des letzten Jahres. Schon bei diesen Konzerten deutete er einen Reifeprozeß an, den er auf dieser LP konsequent und für viele überraschend fortsetzt. Während REINE NERVENSACHE trotz einiger unglaublich guter Songs („Bestandsaufnahme“, „Für nichts und wieder nichts“) so ziemlich jedes Risiko und Experiment vermied, zeigt EINE FORM VON GEWALT Kunze ohne Kompromisse und mit dem gewagten Bekenntnis zu seinem nicht immer direkt verständlichen Ich. Das obligatorische Liedermacher-Syndrom, die akustische Gitarre, ist meist elektrifiziert, einstelle des Pianos tritt zuweilen Rhythmusbox und Synthesizer. Und wenn er sich wie früher alleine ans Piano setzt, dann weisen jene Songs eine stimmungsvollere, sensiblere und begreifbarere (und immer noch poetische) Synthese von Thematik und musikalischen Elementen auf. Mit wachsender Erfahrung hat Kunze gelernt, Aussagen zu akzentuieren und Aggressionen nicht hinter Wortkaskaden zu vernebeln.

Eine einheitliche Grundstimmung, ein Konzept, liegt dieser Platte nicht zugrunde, auch wenn ein Gros der Songs depressive Muster aufweist. „Die kommen immer wieder“, „Der Präsident“ und „Regen in Berlin“ sind mehr oder minder deutliche politisch motivierte Songs, die nicht plakativ und parolenhaft eine Wahrheit verkünden, sondern subtil auf Gefahren hinweisen. „Regen in Berlin“ ist vielleicht die eindrucksvollste Nummer: Eine Piano-Ballade zeichnet die Stimmung in Berlin nach dem gewaltsamen Tod eines Demonstranten im letzten August. Kunze schreit nicht nach Rache, seine „Form von Gewalt“ läuft durch den Kopf und nicht zuletzt durch die intensive Musik auch durch die Sinne.

Abwechslungsreich bleibt er dennoch – und ab und an entsagt er der Depression und der Apokalypse und wendet sich einem „Kinderlied“ oder auch einem Rock’n’Roll („Nachts um halb drei“) zu, der einfach Spaß macht und letztendlich den Optimismus und die Gegenwehr, das „Nicht Einverstanden“ manifestiert.

EINE FORM VON GEWALT verdeutlicht den Entwicklungs-Sprung des Musikers Kunze (ohne dabei modische Strömungen à la „Mussolini“ zu übernehmen) wie auch des Menschen Kunze: Er macht keine Kompromisse mehr – was ihn vielleicht die Zuhörer kosten wird, die ihn gern als Alibi-Liedermacher sehen möchten.