Tangerine Dream – Force Majeure

Eine tiefgreifend veränderte Tangerine Dream-Besetzung präsentierte vor gut einem Jahr das Album „Cyclone“. Peter Baumann war gegangen, an seine Stelle der Multiinstrumentalist Steve Jolliffe und der Drummer Klaus Krieger getreten. Das Neuland, das die Gruppe damit erreicht hatte, wurde durch eine verpatzte Tournee jedoch erst einmal wieder verwüstet. Danach folgten rund zwölf Monate Pause, und nun entdeckt man auf dem Cover von „Force Majeure“, daß Herr Jolliffe schon wieder seinen Hut genommen hat und Trommler Krieger nur noch am Rande erwähnt wird.

Die neue LP ist weitgehend ein Alleingang von Edgar Froese und Chris Franke – aber ist sie nun eine Bankrotterklärung oder der Triumph von zwei Einzelgängern?

Man kann diese Frage spannend beantworten. Der letzte Track der LP, „Thru Metamorphic Rocks“, über 14 Minuten lang, nervt streckenweise, weil irgendwie die Inspiration fehlt; es scheint, als ob sich da jemand über die Runden quält. „Cloudburst Flight“, das davorliegende Stück, gibt bei siebeneinhalb Minuten Länge demgegenüber eine reife Leistung ab und ist stimmig in der Atmosphäre, auch wenn die Ideen nicht gerade aus dem Synthesizer sprudeln.

Bleibt die erste Seite mit dem Titelstück, 18 Minuten lang. Die ist die beste Plattenseite, die es von Tangerine Dream neben der ersten Hälfte von „Ricochet“ überhaupt gibt. Drohende Soundwolken verdüstern zu Beginn die Rillen, doch dann schlägt die Stimmung in einer sensibel inszenierten Wetterwende um, und ein von vorwiegend positiven Vibrationen getragener Flug beginnt. „Force Majeure“ – der Song, nicht die ganze LP ist gemeint – ähnelt einem langen, intensiven, schönen Traum. Die Schauplätze wechseln, aber sie werden nie plastisch greifbar; sie bleiben flüchtig, auch wenn einzelne Eindrücke (Klangbilder und Melodieteile etwa) in der Erinnerung haften. Froese und Franke haben offenbar einen Mittelweg gefunden zwischen ihren aus elektronischen Klangschattierungen aufgebauten früheren LP’s und den kräftigen, zuweilen hart voneinander abgesetzten Farbtupfern von „Cyclone“. Und eine Plattenseite lang hat sie da wohl tatsächlich eine höhere Kraft begleitet.