Contortions, Teenage Jesus And The Jerks, Mars, D.N.A. – No New York

Meisterdetektiv Brian Eno ist diesmal, auf der Suche nach neuen Talenten, in New York fündig geworden. Bei einem 5-Nächte-Festival im dortigen „Soho Artists-Space“ wählte er vier Avantgarde-Gruppen für die Anthologie „No New York“ aus, wobei jede Band eine halbe Plattenseite bestreiten durfte. Allesamt unbeschriebene Blätter, sehen sie auf den Paßfotos aus, als hätten sie die kollektive Schwindsucht, und nicht minder bleichsüchtig klingt ihre Musik. Dagegen wirken Suicide und Patti Smith wie die Bay City Rollers und Suzie Quadro der N.Y.-Avantgarde. Und mir kommt der Zweifel, ob diese Musiker je von der Existenz der Rockmusik gehört haben und der Verdacht, daß sie sie methodisch leugnen wollen.

Leute mit dünnem Nervenkostüm und Ungeduld seien vor dieser Platte gewarnt – sie ist nur genießbar für jene,die der bedingungslosen Experimentiermusik verfallen sind. Und die wird ihnen so aggressiv, intensiv, brutal und erbarmungslos um die Ohren geschlagen,daß ihnen Hören und Sehen vergeht. Kaputt und zerrissen, fragmentarisch und dennoch beängstigend kompakt ist dieses Höllenspektakel, garniert mit Texten, die eine erschreckende Isolation und Verachtung ausdrücken. Wer sie nachlesen will, muß dazu die Innenhülle der Platte aufschneiden, dort sind sie nämlich abgedruckt – symbolischer geht’s nicht.

„No New York“ (der Negativ-Titel verrät eine Menge über die Haßliebe der ausgeflippten Außenseiter für ihre Stadt) dokumentiert nicht Punk oder New Wave, sondern eine Freeoder Anti-Art-Musik, anarchistisch, dadaistisch und destruktiv, und auch dilettantisch. Aber selbstbewußt. Die Contortions (d.h. Verdrehung, Verzerrung, Verformung), sechs Intellektuellen-Brutalos, haben musikalisch am meisten Format und Charisma. Bei ihren bohrenden Improvisationen schwingt nicht selten eine coole Free Jazz-Stimmung mit, geprägt von James Chance’s hysterischem Gesang und Saxophonspiel. Selbst die James Brown-Nummer „I Can’t Stand Myself“ ist bis zur Unkenntlichkeit zerstückelt. Teenage Jesus And The Jerks, von James Chance mitbegründet, bestehen heute als Trio, das die Sängerin und Gitarristin Lydia Lunch anführt. Und zwar psychotisch, besessen, völlig durchgedreht. Kostprobe: „The Closet“.

Das Quartett Mars (dem zwei Frauen angehören) wütet so chaotisch, arhytmisch, atonal und dissonant, daß es unmöglich scheint, auch nur einen Teil ihrer Musik in den Griff zu bekommen. Sie rennt einem buchstäblich davon, z.B. „Tunnel“ und „Puerto Rican Ghost“. Das Trio D.N.A. (mit einer Japanerin am Schlagzeug) übt sich dagegen im perkusiven Instrumental-Wahnsinn, der das Unterste nach Oben kehrt. Diese LP ist ein enervierender quälender Mehr-Personen-Ego-Trip, auf dem alle Beteiligen ihre Traumatas und Neurosen rücksichtslos ausleben, eine Art New Yorker Psychopathen-Therapie, angesiedelt zwischen Beatnik, Yoko Ono, Pere Ubu, Velvet Underground und Albert Ayler.

Wie soll man dergleichen mit Punkten bewerten oder empfehlen? „Völlig hinüber“ fällt als Kategorie aus – ansonsten rangiert diese Musik zwischen einem und fünf Sternen zugleich, weil sie einfach fernab von allem steht. Ich passe und stelle „No New York“ begeistert und beklemmt zugleich unter Denkmalschutz und zu meiner Obskuritätensammlung. Da hat es Platz genug zwischen Garaus und Genialität.