Throbbing Gristle – D.O.A., The Third And Final Report

„Throbbing Gristle heißt pochender/klopfender Knorpel. Bedrohung; Verstümmelung; Hinrichtung; Blut; Tod. Begriffe die immer wieder in den Ton-Collagen von Throbbing Gristle (TG) auftauchen. Sie nennen es „Musik aus der Todesfabrik“ und „Industrielle Musik für Industrielle Menschen“. Das Zeichen, das für das gruppeneigene Label „Industrial Records“ steht, ist eine Ansicht des Auschwitz-KZ. Schock-Taktik. TG sieht in der „Todesfabrik“ Auschwitz, dem wohl grausamsten/brutalsten Dokument menschlichen Vernichtungswahns, die Endstation von Dummheit und Stumpfsinn.

Alle vier TG-Mitglieder sind trainiert im Umgang mit Medien. Photo/TV/Graphik/Environment. Von 1969-1976 arbeiteten sie als Künstler-Gruppe „Coum Transmissions“ in England. DADA-ähnlich. 1978 erschien die erste TG-LP „Annual Report“ (in einer Auflage von 785 Stück) und die erste und bisher einzige TG-Single „United/Zyklon B Zombie“ (eine Mixtur aus Grabgesang und elektronischem Amoklauf). Mit Hilfe dieser Single (Auflage: 5000) wurde das „D.O.A.“-Album finanziert (D.O.A.=Dead on Arrival).

„D.o.A. setzt sich zusammen aus 13 unterschiedlichen Sound-Collagen, die hart und unerbittlich auf die Grenzen unserer Hör-/Wahrnehmungsgewohnheiten schlagen. Diese Musik, die in die Richtung Elektronische Avantgarde/Neue Musik geht, ist nicht leicht aufzunehmen. Sie verunsichert/verwirrt. Sie geht ins Unterbewußtsein. Wach-Traum. Sie ist sehr freundlich/sehr machtvoll/ sehr gefährlich. Die instinktive Annäherung und Reaktion löst bei jedem von uns unterschiedliehe Assoziationen aus. Alles was du brauchst sind offene Ohren!

„I.B.M.“ eröffnet. Inspiriert von einem Tonband, das ein Freund geschickt hat. Eine Montage aus aggressiven Automaten-Geräuschen; Brummen/Summen/Knacken und mechanische Stimmen bilden durch Aneinanderreihung und Wiederholung eine bestimmte Melodie. Drei rohe/wilde Live-Mitschnitte, „Hit By A Rock“, „Walls of Sound“ und „Blood On The Floor“, sind elektronische Dokumente eines Aufeinanderpralls der vier TG-Akteure bzw. ihrer Maschinen/Instrumente. Zerrende Syntheziser/Tapes und verzerrende/knarrende Gitarren fügen sich zu einer Geräusch-Wand, die du auch von pochenden Automotoren und Lkw-Geknatter her kennst. Alltagstöne/Geräusche, an die du dich längst gewöhnt hast, die dich aber langsam zerfressen.

Schnitt. Eine 16 Sekunden Fassung der TG-Single „United“ taucht auf. Die 4 Minuten Version mit 1000 Umdrehungen gespielt! Jedes TG-Mitglied bringt ein Solo-Stück auf die Platte: „Valley Of The Shadow Of Death“ von Peter Christopherson ist Stimmengemurmel/Uhrenticken/Maschinengekraspel. „AB/7A“ von Chris Charter ist ein Sprudeln mehrerer Synthezisermelodien, die miteinander vermischt sind. „Weeping“ von Genesis Porridge ist eine Montage aus vier elektronisch verfremdeten (oder entfremdeten?) Violinen, dazu ein gespenstischer Sprechgesang, der eiskalte Schauer über dich bringt. Eine ab und zu auftauchende Kinderstimme und Babygeschrei bestimmen das Stück „Hometime“ von Cosey Fanni Tutti, das der perfekte Soundtrack zum Coverphoto ist. Cosey spielt dazu dahinschmelzende Gitarrenfeedbacks.

Was noch bleibt, sind zwei Gruppenkompositionen: „Hamburger Lady“ und „D.o.A.“ – schaurige Visionenextremer(en) Qual/Schmerzes/Leidens. Das eine Stück bringt’s mehr vom Text her: „Hamburger Lady“ benutzt Bruchstücke aus einem Brief, in dem ein Arzt die höllischen Qualen einer von der Hüfte aufwärts verbrannten Frau, die immer noch bei Bewußtsein ist, beschreibt. Bilder von napalmverbrannten Menschen und Seveso-Kindern kriechen aus dem Hinterkopf.Bilder, an die wir uns gewöhnt haben!

Das andere Stück – „D.o.A.“ – bohrt unangenehm in unseren Ohren; eine Mixtur aus Metal Machine Music und pochendem Donna – Summer- I -Feel -Luv-Rhythmus, an die du dich nicht gewöhnen kannst.

„Throbbing Gristle“ dehnt unsere (sinnliche) Wahrnehmung aus. Auch wenn dich diese Sound-Collagen nerven, um eines kommst du nicht herum: einzugestehen, daß dich dieses Album daran erinnert, an wieviel grausame Bilder/Töne du dich schon gewöhnt hast! Die LP kann man für 5 Pfund(incl. Porto) bestellen: Industrial Records, 10 Martello Street, London E 8. Manchmal bekommt man es auch bei „Govi“ oder anderen deutschen Spezialhändlern.