Pere Ubu – Dub Housing

,,I’ve got these arms and legs flipflapfliflap…. I have desire …. freedom! freedom!…“ (‚Navy’/Pere Ubu)

,,I need some noise!“ (‚Dum Dum Boys’/Iggy Pop)

Wo der „Modern Dance (Pere Ubus erstes Album) noch eingängig/fließend war, da sind die spontanen Empfindungen beim Hören (und Sehen!) von „Dub Housing“ zu umschreiben als schrill/undurchsichtig/unerträglich/abstoßend/verwirrend ……..

„Dub Housing“ enthält mehr Instrumentalmusik. „Dub Housing“ artikuliert nicht! Dies bleibt uns überlassen. Die Gruppe Pere Ubu versucht ja auch nie, ihre Songs zu deuten, sie weigert sich, dem Empfänger der Ubu-Musik eine Erklärung abzuliefern. Und genau das macht ihre Musik so faszinierend/interessant!

Ubu – das kann die Beziehung zwischen Krach/Geräusch und Menschlichkeit/Gefühl sein.

Ubu – das kann eine Beschäftigung mit Emotionen sein, im Gegensatz zur intellektuellen Auseinandersetzung. Die Umwelt/ die Ereignisse werden emotional ausgedrückt/ beschrieben, nicht intellektuell.

Beim Hören von „Dub Housing“ müssen wir arbeiten. Im Kopf und im Bauch! „Du kannst ohne Arbeit keinen Spaß haben, ohne Disziplin kein Spaß!“ sagt Ubu-Sänger David Thomas. Die ausgezeichneten Textpassagen werden von ihm verstümmelt und uns schluchzend/wimmernd vorgeworfen, wie der Knochen dem Hund. Wortfetzen. Sprechgesang. Die Sprache/Kommunikation ist verkümmert. David schleudert sein Wimmern heraus, seine Stimme benutzt er als Instrument. Dadurch klingen die Wörter verschwommen/verwirrt – die Aufgabe der Betonung/Deutung wird so auf uns übertragen. Der Assoziations- und Interpretationsspielraum kennt dabei keine Grenzen. Thomas setzt die Stimme als Instrument ein so wie die Figur Pere Ubu in der literarischen Vorlage von Alfred Jarry ihren Körper als Instrument benutzt hat; und: wie in Jarrys Werken können scheinbar unbedeutende Objekte die Bedeutung annehmen, die du ihnen gibst! Ubu-Musik – das ist Musik, die zu Visionen anstachelt, zu intensiven Visionen. Und immer wieder dieser treibende Rhythmus, der alles zusammenhält. Wenn die Gruppe dem Chaos, dem Rande des Kollaps am nächsten, wenn die Musik voller Gequieke und Wimmern ist – dann hat die Band jeden Schritt unter Kontrolle, spielt sie am diszipliniertesten. „Dub Housing“ ist Musik, die tanzbar ist und gleichzeitig gedankenprovozierend !

„Navy“ und „I, Will Wait“ eröffnen jede Seite schnell und direkt. „Navy“ mit rasender Gitarrejagendem Refrain und dürrem Rhythmus, „I, Will Wait“ mit durchbohrendem, rennendem Baß. „On The Surface“ folgt auf Seite 1 und baut auf einem zyklischen, flötenden Keyboard-Riff auf; Allen Ravenstines Synthesizer blubbert nah an der Oberfläche. „Drinking Wine Spodyody“ und „(Pa)Ubu Dance Party“ sind die Tanz-/Party-Stücke: das erstere bebt/ flattert und flimmert um ein zirkulierendes/ sich wiederholendes Bass/Keyboard-Riff. Atonalität. Ein ausgelassener, pompöser Rhythmus, vermischt mit stumpfsinnigen Aufschreien des Jammer-Gesangs.

„Dance Party“ hat erneut den dröhnenden Baß-Part, der ab und zu mit den stechenden/zischenden Synthesizer-Wellen kollidiert. Aus dem Hintergrund dringen Radiostimmen – sie babbeln und babbeln. „Blow Daddy-o“ ist ein mechanisches Instrumental-Stück. vorangetrieben durch den schleifenden Synthesizer und ein immer wieder abrupt einbrechendes Schlagzeug – „dadadumdadadumdaaaddumm“. Ein schreiendes Hörn /Saxophon), mehrere Stimmpassagen, die in den Vordergrund kommen und wieder verschwinden, Babbel-Effekte und ein jazziger Piano-Part bestimmen die Sound-Collage des Titelsongs. Filmmusik Bilder werden hervorgerufen: „A thousand insect voices pitter patter laughter filters in from another room“…. „The Windows reverberate the walls have ears a thousand saxophone voices talk.“

Spätvorstellung. „Das Kabinett des Dr. Caligari“. Ubu’s „Caligari’s Mirror“ ist von diesem frühen expressionistischen Film inspiriert und basiert auf dem alten Song „What’ll we do with a drunken sailor“. Gespenstisch und dunkel. Mit dem verrückt-betonten Refrain „walked around – took a bus“. Bei „Thriller“ und „Codex“ ist es dann endgültig Mitternacht; „Thriller“ ist eine Montage aus Filmtönen (aufgezeichnetes/gefiltertes Murmeln), die mit einem verlangsamten Instrumental-Part . gemixt sind. Das alles mündet in einem quietschenden Gekratze – da fährt jemand mit langen Fingernägeln über eine Schiefertafel. „Codex“ ist der rituelle Abgesang auf…?… die westliche Welt.

Mit „Dub Housing“ haben Pere Ubu Konventionen der Rock’n’Roll-Musik gesprengt; die Grenzen sind ausgedehnt und offen!