Konstantin Wecker – Eine ganze Menge Leben
Konstantin Wecker, das ist jener bayrische Anarcho-Humanist der vor einem Jahr mit dem Generationsporträt „Willy“ bei Linksintellektuellen Furore gemacht hat wie kein Liedermacher vor ihm. Ich fürchte allerdings, daß auch sein jetzt erschienenes Plattenbekenntnis „Eine ganze Menge Leben“ kaum ein breiteres Publikum erreichen wird. Wo eine ihm auf den zweiten Blick ungeheuer ähnliche Nina Hagen Frust und Freiheitsdrang rockig-rotzig und für jedermann verständlich hinausschreit, bleibt Konstantin die Kehrseite der Medaille. Seine aufklärerische Lyrik, seine politische Prosa ist alles andere als U-Bahnschacht-Grafitti – eher schon literarischer Elfenbeinturm. Seine spärlichspemgen Arrangements, getragen von Klavier, akustischer Gitarre, Bratsche oder Xylophon, verzahnen sich genial mit der textlichen Aussage mitsingen lassen sie sich nicht. Wecker macht Musik nur für den Kopf. Und dabei singt er vom Körper, vom „Höhenflug der Lust“, von seiner Herzenshure, die „in ihren Nächten Leib, Urhöhle, Schlamm und Lüsternheit“ wird. „Wer nicht genießt, ist ungenießbar“ heißt Weckers lebensbejahendes Leitmotiv, vor dessen Hintergrund sogar Todesahnungen zur Beischlafvision werden („Will wie ein Bock auf meiner Erde liegen/ Was soll ich unfrei sein in einer engen Gruft?“) Falscher Verdacht indes ist fehl am Platze. Weckers lustbetonter Individualismus hat rationale Wurzeln. Die „kalte Last der Sittsamkeit“ nämlich ist es, die er als entscheidendes Instrument von politischer Herrschaftssicherung ausgemacht hat. Die anerzogene Unfähigkeit, spontane Eigenbedürfnisse auszuleben, verursacht allemal auch einen Mangel an jener zwischenmenschlichen Wärme, die Voraussetzung für gemeinschaftliches Aufbegehren ist. An dieser Nahtstelle zwischen radikaler Ichbezogenheit und kollektiver Lebensqualität verändert sich auch Weckers intensiver Sprechgesang: aussinnlich-schmatzender Schwelgerei wird militanter Schneid in der Arbeiterlieder-Tradition. Das massivste Polit-Motiv dieses Albums ist eine Variation des Songs „Es herrscht Frieden im Land“, mit dem Wecker auf seiner letzten LP Front gegen Gesinnungsschnüffelei und Sympathisantenterror gemacht hatte. In „Hexeneinmaleins“ zeichnet er den roten Faden von den mittelalterlichen Ketzerverbrennungen bis zur psychologischen Hexenhatz in unserer Republik nach. Zeilen wie diese bedürfen keines Kommentars: „Heute haßt man modern/ Die Angst ist die Flamme unserer Zeit/ Und die wird fleißig geschult/ Sie verbrennen dich mit ihrer Zunge und ihrer Ignoranz/ Dicke freundliche Herren/ Bitten per Television zur Jagd/ Tausende/ Zum Feinbild verdammt/ Halten sich für’s Exil bereit/ Die Schlupfwinkel werden knapp Freunde/ Höchste Zeit/ Aufzustehn.“
Ein Hinweis noch: parallel zum vorliegenden Album ist ein doppellanger Wecker-Sampler mit ausgesuchtem Material aus den zurückliegenden Platten erschienen („Liederbuch“, Polydor 2664-224).Einige der alten Titel sind mit nur geringfügigen Nuancen neu eingespielt worden. Warum? Um völlige stilistische Einheitlichkeit herzustellen? Ich ziehe da die Originale vor. Sie dokumentieren eine künstlerische Entwicklung, die man wahrlich nicht im Nachhinein aufzupolieren braucht.
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