Mike Oldfield – Incantations
Drei Jahre hat Mike „Tubular Bells“ Oldfield seine Millionengemeinde auf das neue Album warten lassen und dafür nun ein doppeltes vorgelegt. Der schüchterne Oldfield hat die Hippie-Haarpracht und sein Schweigen abgelegt, gibt laufend Interviews und will demnächst, nach fünfjähriger Abwesenheit, gar wieder die Bühne betreten.
Darf man auch musikalisch anderes von ihm erwarten? Erstmal ist „Incantations“ so introvertiert, zeitlos und letztendlich auch wertfrei wie bisherige Oldfield-Werke auch. Der Unterschied besteht – ohne daß Oldfield seinen Stil verändert hätte – darin, daß er im Gegensatz zu vorherigen Platten auf dieser LP weniger strikt konzipiert und arrangiert; bisweilen sucht man vergebens den Aufbau – Anfang und Ende könnten an jeder Stelle sein, das heißt, man kann auch auf Seite vier beginnen und bei Seite eins aufhören. Oldfield hat verschiedene Stimmungsbeschreibungen wie Fotos oder Filmszenen aneinandergereiht, die nicht unbedingt miteinander in Verbindung stehen. Die Grundstimmung ist pastoral und nach innen konzentriert, die Melodieführung wird meist von Flöten übernommen, die einen plötzlichen Schwebezustand hinterlassen.
Seite eins geht unvermittelt am Schluß in einen sehr lebensfrohen Perkussionsteil über, den die afrikanische Band Jabula beisteuerte; Seite zwei klingt wie ein Endlosband, auf dem nur minutiöse Verschiebungen passieren. Das ist mit der symphonischste Teil des Doppelalbums, wo Oldfields Gitarre und die Orchesterstreicher sich gegenüberstehen und Maddy Prior einen sehr sakralen Chorgesang aus Longfellows „Hiawatha“ (ein mittelalterliches Werk aus England) wiedergibt.
Seite drei ist sehr räumlich und kosmisch angelegt, wobei Oldfield endlose Gitarrensoli einstreut, von einem Stimmungsbild zum anderen wechselt, während Seite vier am kompaktesten komponiert ist. Stellenweise begleitet ihn darauf seine Schwester Sally mit ihrer hohen, glasklaren Kirchenchorstimme. Noch mit dabei: Bruder Terry Oldfield und Sebastian Bell (beide Flöten), Pierre Moerlin (Drums und Perkussion), Mike Laird (Trompete), sowie Chor und Orchester unter Leitung von David Bedford.
Ich habe dieses Album in verschiedenen Stimmungen angehört; mal hat es mich deprimiert, mal genervt, mal gelangweilt, selten beruhigt und entspannt oder gar fröhlich gemacht. Oldfield hat hier sehr viel experimentiert, aber nur Dinge angetippt, die andeuten, in welche Richtung er weiter gehen könnte. Dieses Doppelalbum ist sicher ein wichtiges Stück zeitgenössischer Musik, aber nicht jedermanns Geschmack.