Kevin Godley/Lol Creme
„We’re all working in a hit factory“
Dies ist das beste und wohl wichtigste Album, das mir seit „Freak Out!“ von The Mothers Of Invention zu Ohren gekommen ist. Ein Meilenstein der 70er Jahre!
Wer nun dank meiner hochgeschraubten Erwartungen einer musikalischen Weltrevolution entgegenfiebert und gerade deshalb den wahren Witz dieser Platte überhört, der sollte sich mit Genesis und Yes trösten. Godley/Creme, das Ex-1Occ-Songwriter-Gespann, hat sich ohnehin schon letztes Jahr mit dem umstrittenen und völlig unterbewerteten Triple-Album „Consequences“ in die Nesseln gesetzt. Dieses musikalische Hörspiel mit Überlänge (wie sie mittlerweile selbst zugeben), aber auch mit wegweisenden Qualitäten, entstand beim Ausprobieren des Gizmo, dieses streichholzschachtelgroßen Gerätes, das die beiden renitenten Herren entwickelt und gebaut haben. Über „Consequences“ sind so viel harte und ungerechte Worte gefallen, ist so wenig Geld in die Kasse der Plattenfirma geflossen, daß man annehmen müßte, Godley/Creme hätten nun die Konsequenzen gezogen. Stattdessen rächen sich die beiden mit „L“ auf geniale Weise ohne eine Spur von Märtyrerhaltung.
„L“ rechnet nicht nur in kompromißlosen Texten auf komisch-ironische Weise scharf mit der Musikbranche ab, auch musikalisch wird hier in einer sorgfältigst arrangierten Collage aufgeräumt und gleichzeitig bewiesen, daß man in einem Tonstudio noch mehr als Schubidu und Geigenschmuh produzieren kann. Von Abba bis Zappa wird hier alles niveauvoll durch den Kakao gezogen: die blasierte Langeweile der Kunst-Musiker ebenso wie die Middle of-the-road-Eintagshits, die dummen Sprüche und Werbeslogans der Branche und die kreativ berechnende Selbstzensur der Musiker.
Wenn Godley/Creme beispielsweise „The Sporting Life“ mit konventionellem Jazz-Rock beginnen lassen, der sich allmählich in ein völlig überdrehtes Spektakel auflöst, oder in „Art School Canteen“ singen: „Does Getting Into Zappa, Mean Getting Out Of Zen. . .“, wenn da die großen Meister inklusive Beatles zu einem Refrain „Business Is Business“ (auch Songtitel und Fazit der LP) zitiert werden, dann machen sich Godley/Creme nicht einfach und billig lustig, um ihr eigenes geniales Ego herauszustellen. Nein, da paart sich das Kompliment an diese Musiker und der Respekt vor ihnen, vor ihrem Mut, den sie mal besaßen, mit dem Vorwurf, daß sie heute Gleiches als ausgefallen oder gar revolutionär verkaufen.
Daß Godley/Creme, bis auf ein wenig Unterstützung von Andy Mackay am Saxophon, alle Instrumente selbst gespielt und alle auch noch so komplizierten Gesangspassagen selbst gesungen haben, ist eine Art Beweisführung, daß man in Travolta- und Synthesizer-verseuchten Klanglaboratorien sehr wohl noch ein neues Süppchen brauen kann. Ein Süppchen, das scharf genug ist, um die Leute wach zu machen, und schmackhaft genug, um es genießen zu können.
Trotz schlechter Erfahrungen haben die beiden gottseidank den Humor nicht verloren. „Johnny be good or bad, but not indifferent!“ ist die Devise.
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