Ansichten eines Clowns
Kaum ist „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ von Volker Schlöndorff aus den Kinos (das heißt, in manchen läuft er sogar noch), da schiebt man bereits die nächste Böll-Verfilmung nach. Doch – welch ein Unterschied. Kam die „verlorene Ehre“ mit der wunderbaren Angela Winkler in den Nagelschuhen des Action-Kinos daher, so schlurft der „Clown“ in poetischen Filzpantoffeln herbei. Helmut Griem (sonst meist in Ruck-Zuck-Rollen) spielt sich auf subtile Weise die tragikomische Seele aus dem artistischen Leib.
Für diese Paraderolle eines Außenseiters erhielt er vor wenigen Wochen den begehrten „Bambi“. Allein seine pantomimischen Kabinettstückchen, seine bis in die kleinste Gesichtsfalte nuancierte Mimik, seine sparsam angespielten, selten ausbrechenden Gefühlsregungen wären diese Auszeichnung wert gewesen.
Hanna Schygulla als Maria, die Tochter des Alt-Kommunisten Derkum (eindringlich Hans-Christian Blech), spielt sich geglückt aus ihrem Fassbinder-Stil frei. Solch gelungene Besetzungskombinationen würde man gerne öfters sehen. Äußerst bemerkenswert auch die sanft eingespeiste Filmmusik von Eberhard Schoener (bei den Popfans bekannt durch seine Zusammenarbeit mit dem Deep Purple Organisten Jon Lord), die geschickt melodiöse Gitarrenelemente mit flächigen Synthesizerklängen zu verbinden weiß.
Vojtech Jasny, der Regisseur (heute Österreicher, früher in der CSSR ansässig und u.a. Träger des Mao-Tsetung-Preises), hat das Drehbuch zusammen mit Heinrich Böll geschrieben, eine Arbeitsweise (acht verschiedene Fassungen gab’s), die bei Literaturverfilmungen fast zur Pflicht gemacht werden sollte, denn es macht sich für Aussage und Atmosphäre des Films wohltuend bemerkbar.
Dankenswerterweise gliedert Jasny die mit vielen Rückerinnerungen durchsetzte Handlung in schwarzweiße (für die kurz vor Ende des deutschen Faschismus gelegene Kindheit) und farbige (die Erinnerung an sein Zusammenleben mit Marie) Rückblenden. Solch dankenswerte Seh- und Einfühlhilfe spricht für den humanen Inszenierungsstil des Regisseurs, der sich mit Heinrich Böll „innerlich verwandt“ fühlt.
Ob die Geschichte, der Roman erschien bereits vor 13 Jahren, auch heute noch aktuell ist, bedarf keiner Frage. Sicher, das besondere Problem des Clowns Hans Schnier, der, aus einer protestantischen Industriellen-Familie stammend, gegen das katholische Milieu um Marie anzukämpfen hat, das ihn schließlich um seine Liebe bringt und ihn bei Alkohol, trauriger Gitarre und Einsamkeit hängen läßt, ist nicht mehr so gemein spürbar wie in den 50er Jahren. Das Verhalten der Gesellschaft allerdings gegenüber ihren Randexistenzen, der Fight ums persönliche Glück, um die „einfache“ Freiheit des Einzelnen gegenüber sozialen, politischen, konfessionellen, sexuellen Zwängen: Das ist ein Thema, das wohl auch heute kaum erledigt ist. „Ansichten eines Clowns“ ist ein großartiger, melancholischer Film, der allen ans Herz gehen wird, die noch eins haben.
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