The Beatles auf Vinyl


Die große künstlerische Leistung dieser Band ist gleichzeitig ihr Wiederveröffentlichungs-Dilemma. The Beatles haben in nur acht Jahren, von 1962 bis 1970, 13 Alben und zwei Hände voll Songs aufgenommen, die ursprünglich nur auf Singles und EPs veröffentlicht wurden – und damit den größten und wunderbarsten Songkatalog der jüngeren Popgeschichte hinterlassen. Er wird auf Jahrzehnte hinaus Referenzgröße bleiben. Jede Band wird sich weiterhin an den Beatles messen lassen müssen. Zum Beispiel Mando Diao, die in den zehn Jahren von 2002 bis 2012 sechs Alben veröffentlicht haben und schon ab dem zweiten nicht mehr in der Lage waren, der Aussage des ersten wesentliche Erkenntnisse hinzuzufügen.

John Lennon, Paul McCartney, George Harrison und Ringo Starr waren klug genug, ab Mai 1970 getrennte Wege zu gehen. Vielleicht weil sie spürten, dass nach dem programmatisch betitelten LET IT BE nichts mehr kommen konnte. Wie würden wir heute die Beatles-Jahre 1962 bis 1970 wahrnehmen, wenn sich diese Band niemals aufgelöst hätte und ab den 1970ern, dem Beginn der Industrialisierung von Pop, alle zwei Jahre ein neues Album herausgebracht hätte, zu jedem Album auf Tour gegangen wäre, zu jeder Tour ein Live-Album veröffentlicht hätte? Vielleicht hätte der popgesetzlich vorgeschriebene Qualitätsabfall des mittleren und späten Werks das Frühwerk der Beatles ebenso beschädigt wie bei den Rolling Stones, bei Carlos Santana und Dutzenden anderen Veteranen aus den 60ern und 70ern, die weitergemacht haben, obwohl sie nichts mehr zu sagen hatten.

Der Songkatalog der Beatles ist zwar immens (219 Stück), aber limitiert. So kam es, dass mehrheitlich jede „neue“ Beatles-Veröffentlichung, die weltweit bejubelt wurde, aus immer denselben Songs bestand. Ab 1987 wurde der Gesamtkatalog sukzessive auf (schlampig überspielten und gemasterten) CDs wiederveröffentlicht. 2009 dann die klanglich stark verbesserten Remasters. Ein Jahr später – juhu – der Beatles-Katalog auf iTunes. Und jetzt die Wiederveröffentlichung der LPs am Stück – im 16er-Set THE BEATLES REMASTERD VINYL BOX SET (EMI) – und wahlweise in Scheiben, als Einzel-LPs. Aber: Es bleiben immer dieselben, großartigen 219 Lieder.

Mag der Hauptgrund für den Re-Release der Beatles-LPs auch dem annualen vorweihnachtlichen Gewinnstreben der Plattenfirma EMI geschuldet sein, aus Sicht der interessierten Konsumenten ergibt das durchaus Sinn. Die Verfügbarkeit von Beatles-Alben auf Vinyl war seit dem Beginn des CD-Zeitalters vor 30 Jahren nicht durchgehend gewährleistet – bis auf abgeranzte Second-Hand-Items und ABBEY ROAD, das immer zu haben war und – Ursache oder Wirkung – seit einiger Zeit bei jeder Jahresabrechnung als weltweit meistverkauftes Vinyl-Album gelistet wird.

Das REMASTERD VINYL BOX SET ist nicht weniger als eine editorische Meisterleistung. Es enthält die zwölf regulären in Großbritannien erschienenen Alben der Beatles von PLEASE PLEASE ME bis hin zu LET IT BE, das zunächst nur in den USA veröffentlichte MAGICAL MYSTERY TOUR und die Doppel-LP PAST MASTERS mit Non-Album-Single- und EP-Tracks. Dazu gibt es ein schweres über 250-seitiges Hardcover-Buch, das nur mit dieser Box ausgeliefert wird. Es widmet jedem Album ein Kapitel und enthält unzählige Fotos. Die Alben sind detailgetreue Replikas der Originale. SGT. PEPPER kommt im Klappcover mit Original-Innenhülle und den Cut-out-Modellen aus Pappe. MAGICAL MYSTERY TOUR hat das 24-seitige Booklet mit Fotos aus dem Film. Dem „Weißen Album“ THE BEATLES liegen die doppelseitige Fotocollage mit den Songtexten und die legendären vier Porträtfotos der Beatles bei. Auflegen kann man das Vinyl (180 Gramm) natürlich auch. Der Klang ist so brillant und plastisch wie der der 2009er-CD-Remasters. Und die Musik? Die Rekonstruktion einer der erstaunlichsten Band-Entwicklungsgeschichten im Pop. Von der „naiven Phase“ der ersten vier Alben über das Übergangswerk HELP!, die Brit-Pop-Blaupausen RUBBER SOUL und REVOLVER bis hin zu der psychedelisch-experimentellen Spätphase ab SGT. PEPPER. Das Wort „limitiert“ in Zusammenhang mit dieser Box mutet bei weltweit 50 000 Exemplaren zunächst ein bisschen seltsam an, aber angesichts von einer Milliarde verkauften Beatles-Platten sind 50 000 dann doch nur ein Tropfen auf dem heißen Stein.

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