Der fünfte Beatle des Garagenrock


Ty Segall

Twins

Drag City/Rough Trade

Der Garage-Rocker begibt sich auf seinem vierten Album in diesem Jahr auf eine „Magical Mystery Tour“ durch die Hinterzimmer seiner Imagination.

Wahrscheinlich nimmt Ty Segall in dem Moment, da diese Zeilen verfasst werden, schon wieder einen neuen Song für ein neues Album auf oder schickt irgendeinem Kleinlabel einen Track für eine Split-Single oder kompiliert sein „Worst-of“ (man kann ja nie früh genug damit kommen) oder hechelt auf einer Bühne weit draußen in Amerika durch einen Zweiminutenpunkrocksong. Um mal ein wenig Ordnung in diesem ausufernden Katalog zu schaffen: TWINS ist Ty Segalls vierte Veröffentlichung in den vergangenen zwölf Monaten, und wenn es überhaupt so etwas wie eine Hauptrolle im schwer überschaubaren Set von Rollen und Projekten gibt, dann spielt er sie hier mit knarzenden Fuzz-Gitarren und psychedelisch ausgeleuchteten Melodien aus dem Sixties-Wonderland.

Ty Segall ist der Garage-Rocker, der in einem anderen Leben der fünfte Beatle hätte werden können, gleich ob als Sänger, Drummer oder Gitarrist. Und es gibt ein paar Stellen auf diesem Album, in denen der Sänger Segall wie eine späte Inkarnation des Sängers Lennon klingt, meistens unter dem fein sortierten Müll der Gitarren versteckt, den man so ansammelt, wenn man nebenher auch Hardcore-Rock-Alben aufnimmt. Über die Strecke dieses Song-Dutzends begibt sich der Mann aus San Francisco auf eine „Magical Mystery Tour“ durch die Hinterzimmer seiner Imagination und tritt mit leicht derangierten Rockheulern wie „Thank God For Sinners“ und „Inside Your Heart“ wieder heraus – alles, was das Garage-Herz in die Hose rutschen lässt. „We are the children still“, singt Ty Segall im Verein mit Brigid Dawson von Thee Oh Sees, und das gibt ein überzeugendes Motto für TWINS ab.

Man möchte bei dieser Musik an die Stooges, die Seeds oder das Powertrio Cream um Eric Clapton, Ginger Baker und Jack Bruce denken, aber man kommt nicht weit damit. Im Inneren dieser Songs toben Gewalten, die aus einer anderen Ära der populären Musik zu stammen scheinen. Und bevor man das herausgefunden hat, ist dieses prachtvolle, dreckige kleine Ding von Song auch schon wieder vorbei. Es ist eine gesunde Härte und ein, zwei Mal auch ein ordentliches Tempo („You’re The Doctor“), die die Songs vom Stallgeruch einer Retro-Veranstaltung fernhalten. Ty Segall hat beschlossen, sich und sein Publikum schwindelig zu spielen – oder einfach in die Hölle zu fahren. Melodie hin, Melodie her, Hookline hin, Hookline her – dieser Rock’n’Roll begräbt die Traditionen in den besten Momenten wieder unter sich. Das ist der Mehrwert des San-Francisco-Beats der laufenden Saison, mit einem herzlichen Dankeschön an ein paar befreundete Bands: Sic Alps, White Fence und Thee Oh Sees.

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