„Was stimmt nicht mit Euch?“: Antilopen Gang, Dschungelcamp 2020, „Big Bang Theory“ – Die Popwoche im Überblick
In unserer Popkolumne präsentiert Linus Volkmann im Wechsel mit Julia Lorenz die High- und Lowlights der Woche. Welche Künstler, welche Serien, welche Kakerlaken lohnen sich (nicht) – und was war sonst noch so los? In der neuen Folge zur KW 03/2020 geht es um lustige Loser und linksradikale Alphas - also um die Antilopen Gang, außerdem um Sheldon Coopers Comeback, Turbostaat und wie viel Freude es macht, auf RTL-Seiten missgünstige Dschungelcamp-Ultras zu trollen (Spoiler: sehr viel!). Alles Gute mit der aktuellen Popwoche.
LOGBUCH: KALENDERWOCHE 03/2020
Die Schlüsselfrage ist nicht: Welchen Song singt man am besten beim Karaoke? Sondern: Kenne ich auch wirklich die Strophe eines Stücks – und nicht nur den Refrain?
So scheiden schon mal sehr viele Stücke aus, bei denen man sonst unbeholfen wie ein kleiner dummer Bär ins Mikro gerätselt hätte.
Ich entschied mich gemeinsam mit einer bildenden Künstlerin für ein creepy Duett: „Im Wagen vor mir“. Leider nicht im Original von Henry Valentino verfügbar, sondern nur in der hemdsärmeligen Hunde-Version der Toten Hosen (aka Die Roten Rosen), was aber nach dem dritten Alkohol und in wohlfeiler Runde auch schon nicht mehr ins Gewicht fiel.
„Im Wagen vor mir“ ist einfach der perfekte Karaoke-Song. Man hat sogar für die Raucherpause danach noch Gesprächsstoff: „Was um Himmels Willen ist das denn für ein furchtbarer Stalker-Text?“
Bye, bye, mein schönes Mädchen, gute Reise!
INTERVIEW DER WOCHE: ANTILOPEN GANG
Nächste Woche erscheint das dritte Album der Antilopen Gang (ABBRUCH ABBRUCH). Schon seit dem vergangenen Jahr geben die drei Boys mit dem offensiven Swag immer wieder Vorabvideos raus. Ihre Selbstinszenierung flimmert darin zwischen lustigen Losern und linksradikalen Alphas. Kann die Stücke inklusive Videos eigentlich alle empfehlen: „Lied gegen Kiffer“, “Wünsch dir nix“, „2013“, „Der Ruf ist ruiniert“ und ganz frisch die entwaffnend aufrichtigen Sex-Beichten von „Bang Bang“.
Und auch wenn es in einer Kolumne den Rahmen sprengt, habe ich Koljah, Panik Panzer und Danger Dan um ein Interview gebeten. Wir haben es auch übertrieben kurz gehalten. So kann’s gehen:
Hallo, wie geht’s euch gerade?
Nicht gut. Unsere Wälder sterben.
Gab’s verworfene Ideen für den neuen Plattentitel?
Ja, „Apotheker, dein Trank wirkt“ und „Apfel der Zwietracht“.
Eine Lieblingszeile des Albums?
„Ich quäle mir ein leicht debiles Grinsen auf den Totenkopf“
Eine Zeile, die ihr selbst schon nicht mehr so recht kapiert?
„Was, Gott ist tot? Bruder, Nietzsche ist tot / Alle sind tot, wir sind tot, sogar der Tod ist jetzt tot“.
SERIE DER WOCHE: „The Big Bang Theory“
Kann jeden verstehen, der sich aus dieser post-nerdy Pärchenknast-Welt verabschiedet hat. Denn nach wenigen Staffeln schlich sich der Fetisch „Hetero-Beziehungen“ so nachhaltig in die Story, dass man die Serie bis auf ihre grelle Kulisse kaum noch von dem üblichen mediokren Humor-Mist unterscheiden konnte. Zur Sicherheit und mit schlechter Laune gucke ich mir aber trotzdem noch jede Staffel an. Die finale steht nun seit paar Tagen auf Netflix – und es mag verwundern, aber die Autor*innen haben tatsächlich noch mal ein paar gute Momente rausgewrungen aus dem bebrillten Roadkill. Wer’s nicht glauben kann, möge es mit Folge Sechs der Season 12 versuchen. Zu Halloween verkleidet sich Howard als Sheldon und in der Retourkutsche dann Sheldon und Amy als Howard und Bernadette. Sehe gerade, dass diese wirklich wunderbaren Verkleidungsmomente auch in einem Clip auf YouTube zusammengefasst sind. Na, dann schaut doch gerade mal selbst.
https://www.youtube.com/watch?v=KQelgS2dl8M
CLIP-PREMIERE DER WOCHE: TURBOSTAAT
„Für Echos musst Du lauter schreien“…
Schneidende Gitarren, düster, unheilsahnend, explosiv, schwarzweißer Clip… wenn man nur einen kurzen Blick auf Turbostaat 2020 wirft, möchte man meinen, sie sind versteinert in ihrem kanonischen Selbst. Bei der dieswöchigen Video-Premiere von „Brockengeist“ (aus dem nächsten Album UTHLANDE) habe ich allerdings genauer hingeschaut – und mich hat’s doch wieder gekriegt. Allein der Text hält gut die Waage zwischen Verrätselung und Klarheit, was ja nicht immer so ist. Der Anspruch, bei der neuen Platte musikalisch direkter, schnörkelloser ans Songwriting zu gehen, kommt dem Stück ebenfalls entgegen. Von meiner Seite aus: alles okay, schön.
TV-EREIGNIS DER WOCHE: DSCHUNGELCAMP 2020
Vor etlichen Jahren, als man als Medienjournalist noch die Tür aufgehalten bekam im Rathaus, habe ich beim Intro-Magazin und später dann bei der Vice regelmäßig Texte zum Dschungelcamp geschrieben. Ich lebte fürstlich davon, eine Art Anja Rützel für Biertrinker zu sein. Diese Zeit ist aber eben lange vorbei. Dschungelcamp, pardon „Ich bin ein Star, holt mich hier raus“ läuft dagegen weiterhin – und wie jeder Mensch mit TV und psychischen Störungen gucke ich natürlich immer noch. Und freue mich hier nun mein selbstgebasteltes Meme unterzubringen.
Für Leute, die den Dschungel gucken: Das über Tony Trips ist Brea aus dem Netflix-Remake „The Dark Crystal“.
Für Leute, die den Dschungel nicht gucken: Ey, was stimmt nicht mit Euch?
SOCIAL-MEDIA-ÄRGER DER WOCHE: EBENFALLS DSCHUNGELCAMP
In der Rubrik „Der verhasste Klassiker“ bringe ich hier gern mal Musikfans gegen mich auf. Doch wozu eigentlich die ganze Mühe, es sich mit allen aufwändig musikhistorisch zu verderben? Auf der offiziellen Facebook-Seite zum Dschungelcamp geht es viel leichter, habe ich gemerkt.
Seit diesem Kommentar hier (s.u.) wünschen mir viele sechzigjährige Frauen, die sonst Katzen und Tafeln mit Lebensweisheiten posten, den Tod. Offen oder in Privatnachrichten.
Träume nach diesem Erfolg von einem Vollzeitjob als Internet-Troll!
Anmerkung der Redaktion: Linus spricht von der diesjährigen Dschungelcamp-Kandidatin Daniela Büchner, Witwe des verstorbenen Ex-Dschungelcampers Jens Büchner. Was mit ihr ist und wie Linus‘ Kommentar zu verstehen ist, wissen wir auch nicht.
FANZINE DER WOCHE: Drachenmädchen #13
Das Drachenmädchen, das war eigentlich dead. Nach zwölf Ausgaben in den Nuller Jahren hatte es sich erschöpft. Doch in einem Gewalt-Akt aus Nostalgie, Bock und Verzweiflung hat die OWL-Connection wieder geliefert. Man findet viele Jungsstorys aus gereiften (lies: gealterten) Indierock-Proberäumen. Alles wie diese Schachtel Pralinen von Forrest Gump, man weiß wirklich bei jedem Artikel nicht, was man kriegt. Meist aber ist es gut, manchmal toll. Ingo Donot taucht hier genauso auf wie Jörkk Mechenbier von Love A, Frankie Disco von der Band Oiro oder auch Götz Kühnemund und Nagel. Wer sich nur einmal im Jahrzehnt ein Fanzine gönnt: Das hier könnte es sein – inklusive Jeansaufnäher.
Mehr unter www.myruin.de
MEME DER WOCHE
DIE GELIEBTEN KLASSIKER
Welche Klassiker verhasst seien, davon kündet diese enorm objektive Kolumne in hostiler Regelmäßigkeit. Doch zu Recht wird die Musikexpress-Redaktion immer wieder gefragt, ob man den Autoren nicht doch aufhängen könne – und wenn schon nicht das, ob man ihn dann nicht wenigstens dazu bringen könnte, mal zu sagen, was denn bitte die echten Klassiker seien – wenn Beatles, Stones, Radiohead, Arcade Fire, Red Hot Chili Peppers und so weiter alle wegfallen.
Na, dann. Hier eine Liste wahrhaftiger Klassiker, um deren Unversehrtheit niemand bangen muss. Beruhigend!
Nirvana – alles
Blondie – „Plastic Letters”
The Smiths – „Meat Is Murder”
Madonna – „True Blue”
Metallica – „Master Of Puppets”
Robyn – „Body Talk”
R.E.M. – „Automatic For The People”
Cher – „Believe”
Lana Del Rey – „Born To Die”
Bloc Party – „Silent Alarm”
Daft Punk – „Discovery“
Ton Steine Scherben – „Keine Macht für Niemand“
Trio – „Trio“
The Get Up Kids – „Something To Write Home About”
Die Regierung – „Unten“
Zusammengestellt von Linus Volkmann („Musikjournalist“)
Was bisher geschah? Hier alle Popkolumnentexte von Julia Lorenz und Linus Volkmann im Überblick.