Popmusik auf grünen Hügeln: So war’s beim Oya Festival 2019
Auf Oslos größtem Festival kommen im August traditionellerweise noch einmal alle wichtigen Acts des vergangenen Pop- und Indie-Jahres zusammen – und dazu gibt’s viele gute skandinavische Urban-Pop-Newcomer. Dieses Jahr: The Cure, Erykah Badu, Robyn, James Blake, Sigrid, Christine and the Queens.
Sie seien so vertieft in die Musik, sagt James Blake am Ende seines Sets, dass er – der ja nicht als der größte Freund von langen Ansagen bekannt ist – das Gefühl habe, seinem Publikum jetzt doch nochmal ein weg mehr an die Hand geben zu wollen. Also sitzt der blasse Brite dann ein paar Minuten an seinen Keyboards und Synthesizern und erklärt ein paar seiner Gedanken einem seiner Songs: Er habe eine Menge verpasst in seinen Zwanzigern, weil er sich selbst eingeschlossen habe. Und dann singt er seine elektronisch grundierte Ballade „Don’t Miss It“. Es steht am Ende eines aus seinem neuen Album ASSUME FORM und älteren Songs zusammengebauten und in seiner Klarheit überwältigenden Set.
Musik auf Picknickdecken
Was er da über das norwegische Publikum gesagt hatte, ist tatsächlich eine Besonderheit des Oya Festivals, dem größten Festival Oslos. Besonders ausgelassen sind die 60.000 Menschen nicht, die am vergangenen Wochenende im Tøyen Park im hippen Kreativviertel Grünerløkka zusammenkommen. Dafür lauschen sie mit einer wunderbar entspannten Aufmerksamkeit der Musik der internationalen Musikgäste. Die grünen Hügel und die Abendsonne, die entgegen aller Wetterberichte den Park in ein warmes Licht hüllen, laden sowieso mehr zum Picknickdecken-Konzertgucken ein.
So auch beim Auftritt von Sigrid, dem neuen Feel-Good-Popstar des Landes. Sie performte „Don’t Kill My Vibe“ und ihre anderen enthusiastischen Songs wie immer in Jeans und Turnschuhen, aber mit einer umwerfenden, frischen Energie. Nicht ganz so schnell finden sich das Publikum dann zwar in die kosmischen Vibes von Erykah Badu ein, grooven am Ende aber doch im Neo-Soul-Takt. Badu – ganz die afrofuturistische Diva – betritt die Bühne zwar erstmal eine halbe Stunde zu spät, dafür aber in einem sagenhaft abgespacten und Bling-Bling-behangenen Outfit. Und lässt dann begleitet von ihrer phänomenalen Band ihre Stimme zwischen sanftem Soul-Crooning, jazzigen Linien und in die Nacht gerappten, schamanischen Lebensweisheiten („Always look at the trees!“) hin und her wandern. Am Ende gibt es wie immer in diesen Tagen bei Badu eine eigenwillige Energieaustauschübung mit den Zuschauern. Und eine improvisierte Gesangsperformance zum Thema Selbstliebe und Überwindung, Klasse, Hautfarbe, Geschlecht und Sexualität – bis ihr die Festivalveranstalter den Saft abdrehen, damit sie nicht überzieht.
Fuck the norm!
Passend zur Badus Schlussplädoyer bringt auch Héloïse Letissier ihren Popansatz auf den Punkt: „Um es mal zusammenzufassen: Fuck the norm!“. Die Französin, besser bekannt unter ihren Künstlernamen Christine and the Queens, zeigt auf der Hauptbühne mit ihrer verführerischen Genderbender-Show auch, wie man die Norwegen dann doch ein bisschen aus der Reserve locken kann: Die kreischen und tanzen und schwenken mit BHs. Ihre Neuerfindung als Chris zeigt sie in kraftvollen Choreografien zusammen mit ihren Tänzern: eine Performance zwischen schelmischer Weiblichkeit, achselzuckender Männlichkeit und ganz viel Freiheit im Ausdruck.
Von Christine angeheizt werden die Festivalbesucher später am Abend dann sogar noch richtig laut: Den Refrain von Robyns Dance-Pop-Hit „Dancing On My Own“ singen sie so gekonnt und lauthals, dass es der Schwedin glatt ein paar Tränchen der Rührung in die Augen treibt. Davor und danach spielt Robyn als Headlinerin am Freitagabend einen ausgezeichneten, energetischen Gig: In einem fantastischen Silberkleidchen mit aufgenähten roten Diamantennippeln steht sie da und singt all diese Lieblings-Club-Hymnen – „With Every Heartbeat“, „Hang With me“, „Call Your Girlfriend“, „Honey“ – und verwandelt sich nach einem Kostümwechsel in der zweiten Hälfte der Show mit einer spektakulär ausgelassenen Tanzeinlage zu „Love Is Free“ in eine rasende Pop-Matadorin.
Und sie denken an alles
Was sonst auffällt bei Oya Festival: Die norwegischen Gastgeber haben an alles gedacht. Auf dem ganzen Gelände gibt es (schnelles) WLAN, für unvorbereitete Besucher Oropax-Päckchen, für von der Sonne überraschte Sonnencremespender und für Durstige (die mehr Bier tragen wollen, als sie Hände haben) aus Pappe konstruierte, handliche Bierkoffer. Muss man sich bei den Alkoholpreise in Norwegen zwar auch erstmal leisten können, immerhin geht von dem teuren Spaß (ein Bier kostet hier rund 10 EUR) so auf dem Weg fast nichts verloren. Und weil man nicht ständig Bierschaum von Fremden in die Schuhe gekippt bekommt, kann an sich auch sehr gut den vielen tollen norwegischen Entdeckungen zuwenden.
Da ist das Dream-Pop-Duo Misty Coasts, das die psychedelischen Sound-Schleifen in ihren Songs immer hell und tanzbar hält. Oder die junge Rapperin Musti, die in Oslo aufgewachsen ist und nach Anfängen auf Englisch ihre Stadtgeschichten mittlerweile in ihrer Muttersprache vorträgt. Schon ein größerer Star, auch außerhalb Norwegens ist girl in red mit ihrem eingängigen Lo-Fi-Indie-Pop, der sich – wie sie am Ende ihres Sets zeigt – genauso für intime Momente eignet als auch fürs Stagediving.
Und klar, da sind ja auch noch The Cure. Die spielen am ersten Abend sehr viele von ihren Dark-Gitarrenpop-Songs mit wunderbar toupierten Frisuren und einer beeindruckenden Ausdauer. Und Robert Smith sang wieder seinen tollen, jaulenden, klagenden Melodien. Und die Norwegen lauschten ihm konzentriert –und mittlerweile ein bisschen angetrunken.