Die erste Band der Welt
Vor 50 Jahren, am 18. August 1962, wurde Ringo Starr offiziell zum Beatle – und die Beatles erst zu dem, was sie heute sind. Wie fing das an? Warum wurden sie so einflussreich? Und wo soll das alles noch hinführen? Dieses Special beantwortet alle Fragen.
Come Together
Vor 50 Jahren standen die Beatles, wie wir sie kennen, zum ersten Mal gemeinsam im Studio. Der Startschuss zu einem märchenhaften Siegeszug, den die Popwelt nur einmal erlebte. Doch bei der Premiere lief nicht alles rund – und Verlierer gab es auch.
Es ist dieser eine Satz, der Popgeschichte schrieb: „Gitarrengruppen sind auf dem absteigenden Ast.“ Ausgesprochen Anfang Februar 1962 von Dick Rowe, A&R-Mann der Plattenfirma Decca, und adressiert an Brian Epstein, den Manager der Beatles. Der hatte seinen Schützlingen Probeaufnahmen vermittelt, um ihre Karriere in Schwung zu bringen – wer eine Platte auf dem Markt hatte, konnte bei Auftritten eine wesentlich höhere Gage verlangen. Und wenn es besonders gut lief, wurde die Band vielleicht sogar durch den Rundfunk landesweit bekannt.
Aber erst einmal lief gar nichts. Im Londoner Decca-Studio nahmen die nervösen Beatles zwar 15 Stücke auf, darunter drei Eigenkompositionen von Lennon und McCartney, doch letztlich zeigte die Firma kein Interesse. Wobei Dick Rowes Verdikt wohl eher als klassischer Euphemismus zu werten war. In Wirklichkeit hielt er nicht Gitarrengruppen für schwer verkäuflich, sondern ganz konkret die Beatles. Zu rau, zu holprig, nicht talentiert genug. Womit er nicht einmal alleine dastand, denn auch Columbia Records, Philips, Pye und das Oriole-Label lehnten die vier Liverpooler dankend ab. Der umtriebige Epstein ließ sich nicht entmutigen, kontaktierte EMI, stieß allerdings auch hier zunächst auf taube Ohren.
Doch ein gewisser Sid Coleman, angestellt beim Musikverlag Ardmore & Beechwood, hatte von den Beatles und ihren Aufnahmen Wind bekommen und kontaktierte George Martin, Produzent beim EMI-Label Parlophone. Martin hatte zwar bereits ein paar kleinere Pop-Hits verbuchen können, sein Hauptaugenmerk bei Parlophone lag mittlerweile jedoch auf der Produktion von Hörspielen und Comedy-Platten. Er kontaktierte Epstein, hörte die Demos – und war wenig begeistert. Die Aufnahmen klangen reichlich ungeschliffen, die Songs waren nicht die Stärksten. Doch Martin erkannte immerhin das gewisse Etwas, hielt die Beatles für ausbaufähig. Anfang Juni bot er ihnen einen Plattenvertrag an, wenige Tage später standen sie erstmals im EMI-Studio in der Londoner Abbey Road. Zunächst ziemlich eingeschüchtert: George Henry Martin, 36 Jahre alt und aus gutem Hause, sprach akzentfreies Upper-Class-Englisch, trug feinen Zwirn, hatte nach dem Krieg, den er bei den Marinefliegern überstanden hatte, Piano und Oboe studiert. Ein echter Musiker. Kein Autodidakt wie jeder einzelne Beatle. Einer, der in der Vergangenheit Barockmusik und Folkloreplatten produziert hatte. Keinen Rock’n’Roll. Eine Schnittstelle war allerdings vorhanden: Martin hatte auch Comedy-Alben von Peter Sellers und Spike Milligan betreut, deren „Goon Show“ im Radio, quasi ein früher Vorläufer von Monty Python, von den Beatles heiß geliebt wurde. Vor allem Lennon war ein großer Fan.
Im Buch „Anthology“ erinnert sich George Harrison an dieses erste Zusammentreffen: „Wir hatten Respekt vor ihm, doch man merkte gleich, dass er nicht steif war und durchaus Spaß verstand.“ Martin zeigte sich ausgesprochen höflich und zuvorkommend, führte die Beatles durchs Studio, erklärte die Abläufe. Schließlich fragte er, ob ihnen irgendetwas missfallen würde. Verlegenes Schweigen. Bis Harrison die Stille brach: „Nun … ihre Krawatte gefällt mir schon mal gar nicht.“ George Martin fiel die Kinnlade herunter, doch als die Beatles loslachten, lachte er mit. Das Eis war gebrochen.
Noch am selben Tag, dem 6. Juni 1962, ging die erste Probeaufnahme über die Bühne. Bei der es auch gleich zum Eklat kam. Martin beschwerte sich bei Brian Epstein über die mangelnden Qualitäten von Schlagzeuger Pete Best, auch die vier Songs fanden keine Gnade. Für Best, seit 1960 Kampfgefährte bei zahllosen Auftritten in Liverpool und vor allem Hamburg, bedeutete George Martins Urteil das Aus. Nicht nur, aber auch. Denn insgeheim hatten sich Harrison, Lennon und McCartney ohnehin schon nach einem Ersatzmann umgesehen. Dazu Paul McCartney in „Anthology“: „Wir wussten, dass er kein besonders guter Schlagzeuger war, er war auch ein wenig anders als wir. Nicht gerade sehr helle.“ Andererseits flogen die Mädchen auf ihn, was Best nach seinem Rauswurf dann auch zum eigentlichen Grund erklärte: Eifersucht. Womit er zumindest sein Gesicht wahren konnte, denn wegen mäßigen Schlagzeugspiels oder genereller Doofheit gefeuert zu werden, kann dann doch beträchtlich am Ego nagen.
Die offizielle Verlautbarung der Beatles sprach von einer „freundschaftlichen Trennung in beiderseitigem Einvernehmen“, was natürlich – wie meistens in diesen Fällen – gelogen war. Bis dahin gab es in dieser Geschichte jedenfalls schon zwei Verlierer: Decca-Mann Rowe und Drummer Best, die damals jedoch noch nicht ahnen konnten, was ihnen wirklich entgangen war.
Einen Gewinner gab es natürlich auch: Richard Starkey alias Ringo Starr, bislang Schlagzeuger bei Rory Storm & The Hurricanes und mit dem Ruf gesegnet, Liverpools bester Drummer zu sein. Was kein allzu vorteilhaftes Licht auf diese Stadt wirft, denn als virtuoser Stöckeschwinger sollte Ringo nicht in die Annalen eingehen. Aber sein Spiel war immerhin druckvoll und ausgesprochen flüssig, also handwerklich absolut solide. Zudem: Ringo, der am 18. August 1962 zur Band stieß, war Profi durch und durch, ein uneitler, verlässlicher und noch dazu überaus angenehmer Zeitgenosse mit ausgeprägtem Sinn für Humor. Die perfekte Ergänzung. Oder anders gesagt: Zwei starke Egos in einer Viermann-Band reichen völlig, und diese Rollen waren bereits besetzt.
Am 4. September begann das nächste Kapitel: John, Paul, George und Ringo sollten in der Abbey Road die Eigenkomposition „Love Me Do“ einspielen – doch wieder kam es zum Eklat. Erneut war es das Schlagzeugspiel, das George Martin bekrittelte, weshalb er für die zweite Session eine Woche später den Studiodrummer Andy White engagierte. Ringo nahm’s halbwegs gelassen und schlug das Tamburin. Der Song, Ende der Fünfziger von Paul McCartney geschrieben und später mit einem Mittelteil John Lennons versehen, war ein schlichtes Stück Merseybeat, bestehend aus drei Akkorden, Lennons maritimer Mundharmonika und einem netten Harmoniegesang im Stile der Everly Brothers.
Martin bevorzugte zwar die Fremdkomposition „How Do You Do It“ als potenzielle erste Single, doch die mangelnde Begeisterung der Beatles während der Aufnahme ließ ihn davon Abstand nehmen. Ebenfalls am 11. September entstanden „P.S. I Love You“ sowie „Please Please Me“ – jeweils mit Andy White am Schlagzeug. Was Ringo dann doch ins Grübeln darüber brachte, ob sein Arbeitsplatz wirklich gesichert sei. Am 5. Oktober 1962 konnte er aufatmen: Auf der Single, die an diesem Tag erschien, war seine Version von „Love Me Do“ zu hören, leicht identifizierbar am fehlenden Tamburin, der nur die White-Fassung untermalte. Die B-Seite lieferte „P.S. I Love You“, eine nette kleine Ballade mit teilweise souligem Gesang und eigentümlichem Cha-Cha-Rhythmus, geschrieben hauptsächlich von Paul McCartney.
Der 17. Platz in den britischen Charts war zumindest ein Achtungserfolg, wesentlich relevanter war jedoch, dass die Beatles, bislang fast ausschließlich in Liverpool und Hamburg bekannt, jetzt endlich die Chance hatten, landesweit wahrgenommen zu werden. Bereits drei Tage nach der Veröffentlichung gaben sie Radio Luxemburg ein Interview, das kurz darauf ausgestrahlt wurde – gut zu hören in Großbritannien und weiten Teilen des europäischen Kontinents. Auch die BBC spielte „Love Me Do“, zwar nicht allzu häufig, aber immerhin. Es konnte also losgehen, ging aber zunächst einmal zurück. Nach Hamburg.
Die Beatles waren enorm genervt. Endlich war ihre erste Platte auf dem Markt, die sich noch dazu in den Bestenlisten recht vielversprechend entwickelte. Doch anstatt in der Heimat präsent zu sein, musste ein bestehender Vertrag im Hamburger „Star Club“ abgearbeitet werden. Die Sache lief Gefahr, an Schwung zu verlieren. Am 30. Oktober 1962 flogen die Beatles also pflichtschuldigst nach Hamburg und traten 14 Nächte lang gemeinsam mit Little Richard auf. Weshalb sie sogar die Ausstrahlung der Fernsehsendung „People And Places“ verpassten, aufgezeichnet einen Tag vor ihrer Abreise. „Love Me Do“ und „A Taste Of Honey“ hatte man im Fernsehstudio eingespielt, doch Granada Television aus Manchester war in Hamburg beim besten Willen nicht zu empfangen.
Zurück in England, wurde im EMI-Gebäude zwar ein weiterer Rundfunk-Auftritt für Radio Luxemburg mitgeschnitten, doch die nächste Enttäuschung folgte auf dem Fuße: Im Londoner Fernsehstudio der BBC entstand ein zehnminütiger Live-Mitschnitt, der den Bekanntheitsgrad der Beatles gewiss dramatisch potenziert hätte, doch Ronald Lane, Chef der Abteilung „Leichte Unterhaltung“, zog den Stecker. Danke, sehr nett, aber gesendet wird das leider nicht.
Zwei Jahre später werden sich The Beatles im Kinofilm „A Hard Day’s Night“ über das Fernsehen generell und einen selbstverliebten TV-Produzenten im Besonderen lustig machen, eine kleine Retourkutsche, die hier vermutlich ihren Anfang nahm. Aber 1962 waren sie eben noch Nobodies, die vom etablierten Kulturbetrieb, zu dem die eher konservative BBC zweifellos gehörte, ausgebremst wurden. Dort galten sie als ein paar singende Clowns, mehr nicht, die im Programm problemlos durch einen tanzenden Bär oder einen Varietekünstler ersetzt werden konnten, der ein Hühnchen aus dem Zylinder zauberte. Leichte Unterhaltung eben. Dass dieselben Leute ihnen später rote Teppiche ausrollten, für ein winziges Interview stundenlang vor der Abbey Road ausharrten und sich jovial als alte Freunde ausgaben, sollte im Beatles-Lager immer für ambivalente Gefühle sorgen. Vor allem John Lennon und George Harrison konnten die einstige Ablehnung, die anfängliche Arroganz dieser „Medienprofis“ nie so recht vergessen. Und reagierten auf deren Liebeswerben mitunter recht kühl.
Aber zurück zum Herbst 1962. Genauer: zum 26. November. In der Abbey Road werden „Tip Of My Tongue“, „Ask Me Why“ und eine Neueinspielung von „Please Please Me“ fertiggestellt, diesmal mit Ringo Starr am Schlagzeug. Als letztgenannter Song aufgenommen ist, lässt sich der ansonsten eher kritisch-distanzierte George Martin zu einer ungewohnt großspurigen Äußerung hinreißen: „Ich glaube, das ist eure erste Nummer 1.“ Er sollte Recht behalten. Und auch auf die Gefahr hin, dass jetzt fünf Euro fürs Phrasenschwein fällig werden: Der Rest ist Geschichte.
In My Life
Sir Paul McCartney: Startete nach den Beatles seine Solokarriere, gründete die Wings, ist noch heute aktiv. Einer der reichsten Männer Großbritanniens.
John Lennon: Solokarriere nach den Beatles, teilweiser Rückzug aus der Branche, Comeback 1980. Wurde am 8. Dezember 1980 erschossen.
George Harrison: Solokarriere, Hobbygärtner. Gründete zudem die Firma „Handmade Films“ („Das Leben des Brian“). Starb 2001 an Krebs.
Ringo Starr: Karriere als Solist und Schauspieler, geht regelmäßig auf Tournee. Hat seine Alkoholprobleme überwunden und lebt heute in den USA.
Brian Epstein: Starb 1967 an einer Medikamentenüberdosis.
Sir George Martin: Auch nach seinem Ruhestand gelegentlich als Produzent aktiv, 1996 für seine kulturellen Verdienste zum Knight Bachelor geadelt.
Andy White: Begleitete Marlene Dietrich auf ihrer Tournee mit dem Burt-Bacharach-Orchester, Studiojobs für Tom Jones und Rod Stewart. Im Ruhestand.
Pete Best: Selbstmordversuch Mitte der Sechziger, später Angestellter beim Arbeitsamt, Buchautor und Hobbymusiker. Tourt noch heute durch die Provinz.
Dick Rowe: Nahm die Rolling Stones, Animals, Small Faces, Tom Jones und andere mehr unter Vertrag. Verstarb 1986.