The xx: Hipstertreff im Märchenwald


Das Trio aus London feierte eine Party im Spreepark in Berlin mit seinen Freunden Jessie Ware, Chromatics und Mount Kimbie. Mehr als 10.000 gut gekleidete Menschen durften mitfeiern.

Sehr eindringlich wendet sich die junge Frau in der Mitte der gefühlt 200 Meter langen Schlange vor dem Stand, an dem Crêpes hergestellt werden, an ihren Freund. Sobald The xx den ersten Ton ihres Konzerts gespielt haben würden, droht sie an, werde sie hier weg sein „wie nur was“. Pünktlich um 21 Uhr macht sie ihre Ankündigung wahr. Hier bei „Night & Day“, dem von The xx kuratierten Festival im Spreepark in Berlin, läuft vieles sehr pünktlich ab. Pünktlich um 18.15 Uhr stehen Chromatics auf der Bühne, pünktlich um 19 Uhr sind sie wieder weg, pünktlich um 19.30 Uhr beginnt Jessie Ware mit kleiner Besetzung ihren Auftritt, pünktlich um 20.15 Uhr ist er wieder vorbei. Dass es sich bei „Night + Day“ nicht um das Musterexemplar des gemeinen Rockfestivals handelt, ist an mehreren Faktoren ablesbar. Zum Beispiel an der Wahl der Location. Das Gelände des stillgelegten Freizeitparks Spreepark in Berlin-Treptow mit seinem morbiden Charme aus verwildernder Natur, verfallenen Fahrgeschäften, verrottenden Gebäuden, kopflosen lebensgroßen Dinosauriern aus Pappmache und dem Riesenrad, das ohne Gäste seine Runden dreht. Und dann das Line-up. Es wurde nicht von Marketingstrategen am Schreibtisch ausgedacht, sondern von The xx ausgewählt, die ihre Lieblingsbands und -DJs einluden.

Dass sich von denen nicht alle gleichermaßen für ein Open-air-Festival eignen, liegt in der Natur der Sache. Den bassmächtigen Klangkonstruktionen des Londoner Trios Mount Kimbie hätte man sich lieber bei Dunkelheit vor weniger Publikum in einer Location mit einem Dach hingegeben. Ebenso wäre die Neo-Soul-Sängerin Jessie Ware mit ihrem an sich beeindruckenden Auftritt in einem Club besser aufgehoben gewesen. Der Italo-Disco-infizierte Synthpop von Chromatics dagegen funktioniert anscheinend in jeder Umgebung. Die vier Musiker aus Portland, Oregon, taten etwas, für das es im Phrasenbuch des Musikjournalismus eine fest vorgeschriebene Redewendung gibt: „Sie brannten ein wahres Hitfeuerwerk ab“: „Kill For Love“, „I Want Your Love“, das Kate-Bush-Cover „Running Up That Hill“ und Neil Youngs „Hey Hey, My My (Into The Black)“. Auch der New Yorker Rapper und Performancekünstler Mykki Blanco, der im hübschen Zweiteiler mit seinen Meta-Reflexionen über HipHop das Festival eröffnete, scheint Location-unabhängig zu funktionieren.

Und The xx? Romy Madley Croft, Oliver Sim und Jamie xx scheinen im Moment nichts falsch machen zu können. Beatmacher Jamie xx thront eine Etage höher wie ein Zeremonienmeister über seinen Bandkollegen und schraubt an seinen Apparaturen herum. Es geht auf seinen Einfluss zurück, dass The xx live mehr als je zuvor den minimalistischen Bandsound in Richtung Elektronik verschieben. Die Bässe sind tiefer und gewaltiger, die Beats knackiger, ab und zu zieht sich ein waschechter Housebeat durch die Songs. Ein Lichtspektakel, das im krassen Gegensatz zum Minimalismus von The xx in Habitus und Musik steht, lenkt davon ab, dass auf der Bühne im Grunde genommen nichts weiter passiert, als dass drei in schwarz gekleidete Menschen ihre Musik spielen: „Angels“, „Crystalized“, „Sunset“, „Chained“ und mehr. Genau dieses Mehr macht diesen Abend zu etwas Besonderem. In der Mitte des Sets kommt Jessie Ware auf die Bühne und spielt mit The xx einen French-House-„Mash-up“ aus „Music Sounds Better With You“ von Stardust und „Lady (Hear Me Tonight)“ von Modjo. Irgendwann interpretiert die Band den Steel-Drum-infizierten Jamie-xx-Solotrack „Far Nearer“. Bei der Ansage zu „Reconsider“ kann sich Oliver Sim einen kleinen Seitenhieb gegen das Publikum nicht verkneifen: „Das ist eine B-Seite. Nichts für ungut, wenn ihr den Song nicht kennt.“

The xx können nichts falsch machen, nur Einfluss auf das Wetter haben auch sie nicht. Adam „Kindness“ Bainbridge brachte während einer Ansage bei seinem Auftritt das Resultat seiner meteorologischen Beobachtungen in einem Wort auf den Punkt: „Scheißwetter“. Er meinte das Spiel aus viel Regen, nicht soviel Regen, ein bisschen Sonnenschein, viel Wind und nicht soviel Wind. Und so mussten Tausende von Hipstern ihre sorgfältig ausgewählte Hipsterkleidung unter unhippen gelben Regenponchos aus Plastik verstecken, die von einem Präsentator des Festivals verteilt wurden.