Yellow Submarine


Ein U-Boot taucht wieder auf und schlägt hohe Wellen. Kein Wunder, bei dieser Besatzungen Bord sind die Beatles, die größte Band der Popgeschichte. Ihr Gitarrist George Harrison erzählt, warum das gründlich renovierte Yellow Submarine wieder Kurs auf die Kassen nimmt.

„Wie du siehst, habe ich gerade ein bißchen im Garten gearbeitet und neue Pflanzen eingesetzt.“ George Harrison kommt in lehmverkrusteten Jeans, weißem T-Shirt und braunen Mokassins auf seinen Gast zu und streckt ihm die Hand entgegen. Schlank, braungebrannt und strahlend steht er 56jährige Ex-Beatle auf jenem sanft abfallenden Rasen, den die Fans der Fab Four vom Coverfoto seines 1970er Soloalbums „All Things Must Pass“ kennen. Mit der lässig eingeworfenen Bemerkung über sein langjähriges Hobby, die Gärtnerei, gibt Harrison jedoch nur einen Bruchteil seiner Aktivitäten in den vergangenen paar Monaten preis. Neben den landschaftsgärtnerischen Bemühungen auf seinem Anwesen Friars Park hat George sich in die radikale Überarbeitung des Beatles-Albums „Yellow Submarine“ hineingekniet, die ebenso im September veröffentlicht werden soll wie die digital remasterte Neuauflage des gleichnamigen Zeichentrickfilms auf Video und DVD. Doch damit nicht genug. Neben den genannten Aktivitäten hat der Ex-Beatle in seinem Heimstudio ein sehr persönliches, neues Soloalbum aufgenommen und auch noch eine CD-Retrospektive seiner Solojahre zusammengestellt, auf der Demos, Outtakes und andere bislang unveröffentlichte Aufnahmen zu hören sein werden. Daß er daneben noch die Rechte an seinen Soloplatten der Jahre 1976 bis 1992 – darunter der Millionenseller „Cloud Nine“ von 1987 – zurückgekauft hat, die – mit etlichen Bonustracks ausgestattet – wiederveröffentlicht werden sollen, sei hier nur am Rande erwähnt. Denn an diesem wunderschönen Sommernachmittag sind diese Themen vorübergehend auf Fis gelegt. George nimmt sich lieber ein paar Stunden Zeit, um seinen Gast durch Haus und Gärten des beeindruckenden viktorianischen Besitzes zu führen, den er bereits 1969 erworben hat. Am nächsten Morgen spricht Harrison dann nach diversen Telefonaten mit dem Beatles-Label Apple über sein aktuelles Anliegen: den Film „Yellow Submarine“, der ihm seit seiner Entstehung im Jahre 1968 besonders am Herzen liegt, und über das dazugehörige Album, dem seiner Meinung nach immer etwas gefehlt hat – bis jetzt.

Räumen wir zunächst einmal mit den weitverbreiteten Mißverständnissen um das neue „Yellow Submarine“-Album auf. Was wird wirklich darauf zu hören sein?

Es handelt sich dabei nicht um einen Soundtrack, sondern vielmehr um einen „Songtrack“ – eine Zusammenstellung aller Beatles-Songs, die tatsächlich im Film zu hören sind. „Yellow Submarine“ entstand etwa zur gleichen Zeit wie „Sgt. Pepper“, aber auf der Platte zum Film landeten schließlich nur die sechs neuen Songs, die im Film verwendet wurden. Der Rest des Albums bestand aus der Orchestermusik von George Martin. Jetzt haben wir erstmals sämtliche im Film verwendeten Songs berücksichtigt – unter anderem „All You Need Is Love“ und „Sgt. Pepper“.

Im Film sind auch ältere Nummern wie „Eleanor Rigby“ zu hören, die jetzt auf dem „Yellow Submarine – Songtrack“ gelandet sind.

Genau, und alle Songs sind im neuen Surround Sound abgemischt. Video, DVD und die neue CD kommen alle im selben Stereo-Mix am 14. September in die Läden. Der Film wird allerdings nicht im Kino anlaufen, mit Ausnahme von ein paar Events, die wir in ausgewählten Theatern veranstalten. Für den November sind dann alle möglichen anderen Dinge geplant, unter anderem die Vorstellung einer Beatles-Website. Neil Aspinall (Geschäftsführer der Firma Apple; Anm. d. Red) kümmert sich um solche Sachen. Er hat noch diverse andere Projekte geplant, die kurz vor der Realisierung stehen. Neil hat es 40 Jahre lang mit den Beatles ausgehalten. Außer ihm ist es niemandem gelungen, während der diversen Konflikte mit uns allen gleichzeitig den Kontakt zu halten. Als ich ihn kennenlernte, war ich 13 und rauchte gerade heimlich hinter Dem Luftschutzbunker an der Liverpool Institute Highschool. (lacht)

Was ist mit dem Song „Hey Bulldog“, der bei Sessions im Februar 1968 entstand?

Es war Johns Song, und er hat eine tolle Melodie. Komischerweise wurde „Hey Bulldog“ aus der US-Version des „Yellow Submarine“-Films herausgeschnitten. Diesmal wollten wir sichergehen, daß  das Stück wirklich dabei ist, denn schließlich kommt der Hund mit den vielen Köpfen ja auch im Film vor. Übrigens existiert auch ein unveröffentlichtes Video zu „Hey Bulldog“. Als wir den Song im Studio einspielten, wurde gerade Filmmaterial für einen anderen Promoclip (für „Lady Madonna“ – Anm. d. Red.) benötigt. Also kam ein Filmteam vorbei und nahm uns auf. Das war das einzige Mal, daß bei unseren Musikaufnahmen gedreht wurde. Irgendwann ist Neil Aspinall dann aufgefallen, daß wir in dem Clip in Wirklichkeit „Hey Bulldog“ singen! Neil baute dann das unbenutzte Filmmaterial wieder zusammen, legt den „Hey Bulldog“-Soundtrack darüber, und fertig war der neue Clip.

Ein unveröffentlichtes Live-Video der Beatles!

Yeah! Und obendrein im neuen Surround-Mix, an dem monatelang in den Abbey Road-Studios in London herumgefeilt wurde. Damals haben wir so gearbeitet, daß alle vier Spuren zusammengelegt und dann auf einer neuen Spur einer weiteren 4-Track Maschine aufgenommen wurden. So hatten wir wieder drei Spuren zur Verfügung. Diesmal haben wir die vier ersten Spuren voneinander getrennt, und dann die drei, die darübergelegt wurden. Normalerweise bestehen die Mixe, die man seit den 60er Jahren bis heute auf sämtlichen Beatles-Platten gehört hat, alle aus diesen vier Spuren, über die dann der „Pre“-Mix der anderen drei Tracks gelegt wurde.

Mit anderen Worten, Ihr habt die einzelnen Spuren der Basistapes wiederentdeckt, und das hat es Euch dann ermöglicht, die Originalspuren zu isolieren?

Ja, und das Ergebnis ist ein viel besserer, sauberer Mix, weil wir in der Lage waren, die ursprünglichen Bass-, Drum- und Gitarrentracks zu verwenden. Damals haben wir mit dem alten Equipment viel Zeit darauf verwendet, den endgültigen 4-Spur-Mix zu verbessern. Bei den neuen Mixes hat ein Toningenieur namens Peter Mew eng mit Allan Rouse zusammengearbeitet, der sich um den ganzen Beatles-Katalog kümmert. Wir gingen hin und hörten uns die komplett überarbeiteten Tracks an, und ich muß sagen, sie sind wirklich sehr gut geworden. Der Sound scheint aus allen Richtungen zu kommen.

Noch ein paar Fragen zu den Songs auf dem ursprünglichen „Yellow Submarine“-Album. Gegen Ende von „It’s All Too Much“ hört man Schnipsel von Jeremiah Clarkes Song „Prince Of Denmark’s Maren“ und des ’66er Merseys-Hits „Sorrow“.

Du meinst beim Fade-Out? Klar, (singt) „Your long blond hair/ And your eyes of blue“. Das gehörte alles zu diesem phänomenalen Ende. Wir baten den Trompeter, einfach irgend etwas zu spielen, so entstand die „Prince Of Denmark“-Einlage. Dann kamen Paul und John und sangen „Your eyes of blue“. Vor ein paar Jahren hat übrigens jemand versucht, uns deshalb zu verklagen.

Weil John und Paul einen Schnipsel des Textes sangen und damit ein unbedeutendes Stück bekannt gemacht haben?

Ganz genau. Ich habe das einfach ignoriert. Ich gehe davon aus, daß „It’s All Too Much“ einer der Songs ist, die inzwischen Michael Jacksons Northem Songs gehören, also dachte ich mir: „Soll der sich doch damit herumschlagen“. Ich fand das einfach lächerlich. Das Riff von „It’s All Too Much“ habe ich übrigens seither aus mindestens 50 Songs herausgehört (er summt die Melodie des Refrains). Du weißt schon, Dah ding ding ding, dah ding ding ding. Dieser Song scheint zum Standardrepertoire aller Bands zu gehören. Manche Künstler geben ja zu, daß sie von den Beatles beeinflußt wurden. Die Byrds zum Beispiel, die auf die 12-saitige Rickenbacker Gitarre erst kamen, nachdem sie sie in unserem Film „A Hard Day’s Night“ gesehen und gehört hatten. Andererseits haben mir in letzter Zeit verschiedene Leute wegen einer Gruppe namens Texas und ihres Songs „Black Eyed Boy“ geschrieben. Sie sind der Meinung, daß Texas meinen Song nachspielen. Irgendwann hat mir jemand ein Tape geschickt, aber ich konnte keinerlei Ähnlichkeit erkennen. Wir haben nie etwas davon gehalten, andere Künstler wegen Plagiats zu verklagen. Ich habe zwar im Lauf der Zeit eine Menge Platten gehört, in denen Elemente aus meinen Songs „What Is Life“, „Living In The Material World“ oder „Here Comes The Sun“ verwendet wurden. Aber was soll’s?

Das Gitarrenfeedback im Intro von „It’s All Too Much“ wurde im Mai 1967 aufgenommen, also bevor Jimi Hendrix mit seinen wilden Sachen anfing. Sein Album „Are You Experienced?“ war da noch gar nicht veröffentlicht.

Inzwischen glaube ich, daß ich das Gitarrenfeedback beschrieben wurden, nur daß die Blaumiesen den Planeten jetzt noch fester im Griff haben als 1968! Und diesmal sieht es ganz so aus, als ob keine Musikgruppe kommen wird, um die „graue Blase“ platzen zu lassen, denn die Musikindustrie ist inzwischen selbst grau geworden und wird von Blaumiesen dominiert.

Glaubst du, daß die populäre Musik das Bewußtsein der Menschen beeinflußt und ihre Einstellung im Laufe der Geschichte geprägt hat?

Auf jeden Fall. Und der Streifen war sehr einflußreich, besonders durch die Arbeit des Graphikers Heinz Edelmann.

Auf jeden Fall. Das steht für mich außer Frage, vor allem wegen der Reaktionen, die ich immer noch bekomme. Erst neulich hat mir ein Homöopath aus London den Brief einer 84jährigen Patientin zugeschickt, in dem sie immer wieder schreibt, daß mein Song „My Sweet Lord“ ihr ganzes Leben verändert hat, daß das Stück bis zum heutigen Tag einen großen Einfluß auf sie ausübt. Andere Fans sagen mir heute noch mit Tränen in den Augen, wieviel ihnen die Musik der Beatles bedeutet hat – und immer noch bedeutet. Das ist ja das Tolle an Musik: Eine Hoagy Carmichael-Platte aus dem Jahr 1929 kann mich heute noch beeinflussen. So etwas ist zeitlos, weil es auf einer Platte konserviert wurde. Musik beeinflußt dich auf jeden Fall, sie kann dich glücklich oder traurig machen. Deshalb bin ich mir sicher, daß all die fürchterliche Musik, die heute im Umlauf ist, die Gesellschaft verändert – die Verbrechen werden schlimmer und die Menschen werden zynischer. Dafür ist die Musik zwar nicht direkt verantwortlich, aber es ist die Chemie, die durch endloses Fernsehen, Musiksendungen und Werbung geschaffen wird – beschissene Musik, Filme über Mord, und obendrein richtet Robert DeNiro auch noch überall auf zahllosen Plakaten (für den Film „Ronin“ – Anm. d. Red,) eine große Knarre auf den Betrachter. Es ist genau so, wie mein Sohn Dhani sagt: „Wen kümmert’s, wenn irgendwo Bomben fallen?“ Das ist die verbreitete Meinung auf dem Universitätscampus, weil die Leute desensibilisiert sind. Vor ein paar Jahren habe ich etwas einerseits Schreckliches und andererseits unglaublich Komisches in Los Angeles im Fernsehen gesehen: Beim Wetterbericht wurde zu einem Moderator am Strand weitergeschaltet. Der stand da, während man im Hintergrund genau sehen konnte, wie schlimm die Luft verschmutzt war, und er plauderte munter: „Ja, Leute, heute haben wir hier in Santa Monica wie- der einen wunderschönen Tag!“ Ich hab‘ mich gefragt: Wovon redet der Mann? Das stinkt doch zum Himmel! Das meine ich mit Desensibilisierung. Vielleicht leben die Leute in ein paar hundert Jahren in Abwasserkanälen, in denen die Ratten auf ihnen krabbeln, und denken sich: „Ist das Leben nicht wunderbar?“ Mahatma Gandhi hat gesagt: „Schaffe und bewahre das Bild deiner Wahl.“ Anscheinend sind Gier und Gemetzel die Bilder unserer Wahl.

Insider meinen, daß sich In der Unterhaltungsindustrie einiges verändert hat.

Es ist es nicht nur traurig, wie die Musik heute gemacht, sondern ganz besonders, wie sie gespielt – oder vielmehr – nicht gespielt wird, zum Beispiel im Radio. Dabei gibt es so viel gute Musik, alte und neue, und die wird einfach nicht gespielt.

Du hast Dich In den letzten Jahren hauptsächlich auf Deine Familie konzentriert und dabei zu Hause nur so aus Spaß ein bißchen Musik aufgenommen.

Ich habe zu viel Zeit im Garten verbracht (lacht leise). Mir erscheint die Vorstellung, in einer Fernsehshow mit Jerry Stringer aufzutreten, oder wie dieser Typ heißen mag (der Typ heißt Jerry Springer – Anm. d. Red.), um über etwas zu reden, während sich die anderen Gäste prügeln, ziemlich erbärmlich. Wer so etwas verkaufen will, verkauft auch seine Seele. Deshalb bin ich auch überzeugt, daß ich niemals zu der Seite des Business zurückkehren werde, die sich in diese Richtung entwickelt hat. Ich habe volles Verständnis für die Sängerin von Abba (Agnetha Fältskog – Anm. d. Red.), die in Talkshows dafür kritisiert wird, daß sie heute zurückgezogen auf einer Insel lebt und keinerlei Kontakt zur Musikindustrie pflegt. Neulich hat ein Typ im Fernsehen über sie gesagt: „Sie hatte einen tollen Arsch, jetzt ist sie selber ein Arsch!“ Diesen Kommentar fand ich unglaublich übel. Dabei lebt sie vermutlich viel spiritueller, viel zufriedener und ist für ihre Familie und ihre Freunde ein besserer Mensch.

Im Leben gibt es keine Grenze nach oben, man muß nur den Mut haben, hoch genug zu klettern. Aber wer bis ganz unten hinabtauchen will, wird feststellen, daß auch In dieser Richtung keinerlei Grenzen gesetzt sind.

Genau, es gibt kein Ende, und es gibt keinen Anfang. Worum es wirklich geht, ist das Jetzt, und gerade jetzt wird die Musik von Leuten bestimmt, die im Grunde gar nichts damit zu tun haben – etwa von Sponsoren und Aufsichtsräten, denen es lediglich darum geht, auf der Leiter des gesellschaftlichen Erfolges ein Stückchen weiterzukommen. Folglich wird die Musik dann auch immer schlechter. Nenn mir jemanden, der eine moralische Botschaft besser in eine Melodie verpackt hat als Bob Dylan in seinem Song „Every Grain Of Sand“: „Don’t have the inclination to look back on any mistakes/Like Cain I now behold this chain of events that I must break/In the fury of the moment I can see the master’s hand/In every leaf that trembles/In every grain of sand/Oh the flowers of indulgence and the weeds of yesteryear/Like criminals they have choked the breath of conscience and good cheer/ … I gaze into the doorway of temptation’s angry frame/And every time 1 pass that way/I always hear my name/Then onward in my journey/I come to understand/That every hair is numbered/Like every grain of sand.“

Wie reagiert George Harrison als Songwriter und auch als Mensch auf diese schreckliche Ära, die Bob Dylan einst vorausgesagt hat?

Nun, ich denke, daß inzwischen jedem Menschen klar sein dürfte, daß man uns in jeder Hinsicht einer Gehirnwäsche unterziehen will. Also singe ich eben Stücke wie „Valentine“, einen Rock ’n‘ Roll-Song über die Macht der Liebe, oder „Pisces Fish“ über den unendlichen Fluß, der ganz in der Nähe meines Hauses verläuft, oder ich singe (zitiert aus seinem Song „Brainwashed“): „God, God, God, won’t you lead us through this mess?!“