Verschwände deine Judend?
Der eine hantiert mit Bach und Zombiefilmen. Der andere hat eigenhändig (so gut wie) Ronald Schill gestürzt. Und der dritte müsste eigentlich echt mal zum Dopingtest. Hedonismus! Polit-Rock! Arbeitsethik! Reifungsprozess? Die Village People? "Wir wollen halt den ganzen Schwachsinn mal gemacht haben", erklären Die Ärzte. Und davon gibt es noch eine Menge da draußen.
Dirk Felsenheimer, den manche Dirk nennen, andere Felse und die meisten Bela, sieht ein wenig geschafft aus. Aber nicht, weil er gestern ein Fass aufgemacht hätte, sondern weil er schon seit Stunden auf einem Polsterstuhl im Garten einer für den Pressetag angemieteten Villa in Köln-Riehl Interviews gibt. Dabei hätte er weiß Gott Grund gehabt, ersteres zu tun. Mittwochnachmittag, 20. August: Vor ziemlich genau 24 Stunden hat der Hamburger Erste Bürgermeister Ole von Beust in einer Pressekonferenz die Entlassung seines Innensenators Ronald Schill verkündet. Bela B. lebt seit sieben Jahren in der Hansestadt und gehörte seit dem Antritt der Regierung im Herbst 2001 zu dem Heer von Künstlern, die sich gegen den gruseligen Law&Order-Vogel Schill und von Beusts Mitte-Rechts-Koalition engagierten. Zuletzt nahm er mit Fettes Brot das Lied „Tanzverbot! (Schill To Hell!)“ (www.tanzverbot.com) auf. Und jetzt ist der Kerl to hell, und Bela hier in Köln auf Arbeit. „Doch, ich hab mich schon gefreut“, sagt er. „Meine Empfindungen gegenüber Schill hatten ja schon fast was Manisches angenommen, was Erzfeindisches. Der ist für mich schon ein extrem rotes Tuch. Und dabei hat er noch nicht mal was mit Musik zu tun!“ Er lächelt ohne viel Häme. Das Thema ist ihm nicht so lustig.
Vieles von dem, was Bela B. Felsenheimer (auch diese Kombination ist in Gebrauch) in den letzten Jahren beschäftigt hat, hat nichts mit Musik zu tun. Der Ärzte-Drummer ist Betreiber seines eigenen Comic-Verlages, hat bislang zwei Hörbücher eingelesen („Das Handbuch“ von The KLF und William Goldmans „Die Brautprinzessin“) und verfolgt seit Mitte der 90er eine Karriere als Schauspieler. Die hat ihm nach Nebenrollen in TV- und Kinoproduktionen (darunter immer wieder vom Horror- und Trash-Fan gern genommene Parts in Streifen wie Splatterkönig Olaf Ittenbachs „Garden Of Love“ oder „Killer Barbies vs. Dracula“ von Trash-Altmeister Jess Franco) kürzlich auch seine erste Hauptrolle eingebracht: In dem auf wahren Begebenheiten beruhenden NS-Drama „Edelweisspiraten“ (edelweisspiraten.com) von Niko von Glasow-Brücher, einem einstigen Fassbinder-Assistenten, spielt er den „Bombenhans“ Steinbrück, einen entflohenen KZ-Häftling, der eine Clique von vage gegen Hitlerjugend und Regime rebellierenden Jugendlichen für seine Rache instrumentalisiert. Wenn Bela von seiner Schauspielerei spricht, ist er ernst und verhalten stolz: Letztens hat er in Holland, wo sein Rockstar-Bonus wegfällt, ein Casting bestanden – gut für’s Selbstvertrauen. „Da sag ich dann schon: Leute, ich bin jetzt Schauspieler. Ich kann mich gegen Konkurrenz durchsetzen.“ Aber: „Logischerweise steht das hinter den Ärzten.“
Was hatte man von denen eigentlich erwartet dieser Tage? Das letzte große Inerscheinungtreten der Band war im August letzten Jahres ihre mit typischer, schier streberhafter Exzentrik aufgezogene „MTV Unplugged“-Show, in der sie vom Schülerorchester bis zum Didgeridoo einen Gutteil der der Menschheit bekannten Klangkörper auffuhren. Eine charmante Angelegenheit, vom Format her aber letztlich eine Pflichtübung, die man vor dem Hintergrund von Belas Schauspielerei und dem im Herbst 2001 erschienenen Soloalbum Endlich Urlaub! des zweiten Ärzte-Kopfes Farin Urlaub, das der dann 2002 mit eigener Band betourte, als Auftakt für eine längere Ärzte-Zäsur interpretieren konnte. Fehlte nur noch die Best Of. Weiteres Omen: Zum Finale der Tour zum letzten Album Runter mit den Spendierhosen, Unsichtbarer (2000) hatte es 2001 ein Konzert in Westerland auf Sylt gegeben. Jenem Ort also, an dem sich die Ärzte 1988, auf dem ersten Höhepunkt ihrer Popularität, von den Fans verabschiedet hatten. Aus dem angekündigten „für immer“ wurden damals immerhin fünf Jahre Auszeit.
Und jetzt, tada!, die in einem bemerkenswerten Tempo geschriebene, produzierte und veröffentlichte neue Platte (das sechste Studioalbum seit der Reunion 1993; dazu gab’s in zehn Jahren ein Live- und das Unplugged-Album Rock’n’Roll Real-Schule), featuring viele neue Ärzte-Maßstäbe: Geräusch ist das erste Studio-Doppelalbum und die bislang aufwändigste Produktion der Band, es ist sicher ihr ernstestes (bitteschön: relativ gesehen; mehr dazu später) und vielleicht, ja vielleicht ihr bestes Album (auch dazu später mehr). In jedem Fall wird hier geklotzt, gestrotzt, geprasst.
„Tja, man unterschätzt uns gern.“ Jan Vetter, den ziemlich alle um ihn herum privat Jan nennen und eigentlich nur Die Leute Da Draußen Farin Urlaub, grinst – wenn es das gibt – mit dem ganzen Körper. Der 1,90-Schlaks, der Ende Oktober 40 wird und dessen wasserstoffblonder Stachelfrisur man mittlerweile ein wenig auf den Grund sieht, beantwortet die einführende Plänkelfrage „Alles gut?“ mit dem genüsslichsten „Ja!“ des Tages und verströmt Energie und Optimismus, als wolle er am allerliebsten los und gleich noch eine Platte einspielen. Tatsächlich wird er in knapp zwei Wochen genau das tun: Ab Anfang September, nach der Promoreise und bevor im Dezember der erste Teil der Tournee beginnt, wird Farin Urlaub in seinem Studio bei Hamburg sein zweites Solo-Album, geplant zur Veröffentlichung 2004, aufnehmen. Ein Faktum, das Kollege Rod Gonzalez (den alle Rod, im Extravaganzfall Rodrigo nennen, was doch mal ein Wort ist) vorhin ebenso bewundernd wie verwundert bekopfschüttelt hat: „Mir war das zu stressig. Mir reicht, was wir mit den Ärzten an den Hacken haben. Aber wenn er’s braucht…“ Der Bassist erklärt sich die überbordende Produktivität des lebenslangen Gift-Abstinenzlers feixend so: Jan guckt nicht fern, er trinkt keinen Alkohol, er nimmt keine Drogen, die Welt hat er mittlerweile auch mehrmals bereist – was soll er sonst machen?“
Was ist denn bloß los mit dir? „Scheiße, Dopingkontrolle! Nicht schon wieder!“ Farin, die Songschreibemaschine, ist legendär. Von jeher stammen die Hälfte bis zwei Drittel der Songs auf Ärzte-Platten von ihm, und von jeher wurmt es ihn, dass trotzdem viele seiner Lieder liegen blieben. Dass er jetzt eine zusätzliche Plattform für Songs hat, die sonst auf Halde landen würden, beflügelt ihn sichtlich. Nach der Solo-Tour, sagt er, sei es einfacher geworden, die Stücke zu unterscheiden. „Ich kann jetzt so Parallel-Processormäßig Ärzte- und Solo-Stücke machen.“ Böses Blut innerhalb der Mutterband gibt es nicht, die Kollegen seien vielmehr wohl „ganz froh, dass ich sie mit dem Scheiß in Ruhe lasse.“ Er habe kurzzeitig ernsthaft erwogen, noch ein zweites Soloprojekt aufzuziehen. Oder aber Songs für andere Bands zu schreiben, was bislang da ran scheiterte, dass er „ziemlich eifersüchtig“ ist, was seine Stücke angeht. „Es fällt mir schwer, was zu schreiben und dann singt’s jemand anders. Das bereitet mir Schmerzen. Selbst wenn Bela ein Stück singt, bei dem ich den Text mitgeschrieben habe, geht ’s so: ‚Schade, die Zeile da hätte man anders betonen müssen…‘ Eigentlich sollte ich mal lernen, da loszulassen.“ Farin Urlaub: Die Zügel abgeben ist nicht so sein Ding. Er ist der Arzt, der die Fäden in der Hand hält, der kontrollfreaky Jagger zu Belas hedonistisch-jovialem Richards (um hier mal einen Vergleich zu ziehen, für den sich der Autor nach Drucklegung in vorauseilendem Gehorsam selbsttätig teeren und federn wird; keine Sorge), kurz: die perfekte Konstellation für eine langlebige Ehe.
Der Mann, der sein Privatleben so strikt gegen mediale Durchleuchtungsversuche abschirmt, war Anfang der 90er mit der späteren Boulevard-Pomeranze Jenny Elvers liiert. In dieser Zeit erreichten die Nachstellungen von Teenie- und Klatschpresse einen aggressiven Höhepunkt, der Farin zum gebrannten Kind machte: Sicher ist er der maßgebliche Antrieb hinter den straff durchgezogenen Prinzipien seiner Band. Als Gäste in Talkshows o.a. sieht man Ärzte, wie Farin vorrechnet, „genau nie“. Ob Privatsphäre der Bandmitglieder oder der punk-traditionell sehr hoch gehängte Schutz der Fans: Wer als Medienheinz hier über die Stränge schlägt oder sich in Spekulationen versteigt, wird mit Liebesentzug bestraft. Das gesamte Segment der Teenie-, Boulevard- und Lifestyle-Presse fällt seit Jahren durch das Raster. Und auch der MUSIKEXPRESS bekam Mitte der 90er den ärztlichen Unmut zu spüren, als nach einer missverständlich formulierten Passage in einer Live-Story und einer verbockten Verlosungsaktion (die Preise waren guten Glaubens ausgelobt worden, erst nach Druck des Heftes wurde klar, dass sie nicht vollzählig verfügbar sein würden) die diplomatischen Beziehungen abgebrochen wurden: keine Vorab-Musik, keine Interviews, nichts mehr. Erst drei Jahre und zwei Alben später kam es wieder zur Annäherung.
Wenige Bands hierzulande bestimmen ihre Spielregeln so konsequent selbst wie die Ärzte („Wir haben da auch sehr klare Vorstellungen, wir müssen über, wenig diskutieren“, erklärt Farin. „Bei den meisten Sachen haben wir eine Entscheidung gefällt, bevor der Vorschlag verklungen ist.“) – und wenige Bands können dies so komfortabel tun. Fragt man Farin, ob es seiner Meinung nach etwas gebe, das sich die Ärzte nicht erlauben könnten, bekommt man das klarste „Nein“ des Tages. In den 8oern hätten er und Bela sich „noch ein bisschen in eine Ecke reingesteckt“. Seit dem Comeback 1993, das sie als eine der, sagen wir, drei dicksten deutschen Bands der letzten Dekade etablierte, ist klar: „Wir können wirklich alles machen.“
Das relativiert Rod Gonzalez‘ Freude darüber, dass viele der anstehenden Dezember-Gigs schon im März ausverkauft waren, als die Band noch im Studio war. „Die kaufen die Katze im Sack. Ich meine: Die könnten ja auch ein Blockflötenkonzert bekommen“, strahlt er. Mag sein, aber selbst ein solches würde von einem nicht unerheblichen Teil der potenziellen Käufer wohl begeistert aufgenommen. Die Ärzte werden entweder kultisch verehrt oder ignoriert, der Bereich dazwischen, hat man den Eindruck, ist schmäler als bei den meisten anderen Bands. Sie haben sozusagen nicht viel Laufkundschaft, Ausreißer wie der Massenhit „Männer sind Schweine“ von 1998 bestätigen die Regel. Diese Konstellation macht es in gewisser Weise unerheblich, wie „gut“ das jeweils neueste Ärzte-Opus ist. Was den Ehrgeiz der Band nicht schmälert: Klassenbeste zu sein, das hat die „Unplugged“-Show gezeigt, ist ihnen schon wichtig. Das hört man auch dem schieren Schmiss, der verspielten Stilvielfalt und der Ohrwurmdichte von Geräusch an. Schon ein paar statistische Werte, die Farin beinahe kindlich begeistert aufzählt, sprechen eine deutliche Sprache: In nur zwei Monaten und fünf Tagen Studiozeit waren die 26 Songs im Kasten, durchschnittlich 60 Tonspuren pro Stück (Rekord: 86 bei „Die Nacht“) waren zu mixen, etwa 20 mehr als auf den letzten Alben. „Wir haben so schnell aufgenommen, dass wir teilweise den Überblick verloren haben“, rattert Farin, „da wurde ein bisschen Percussion gemacht, bisschen Gesang, bisschen Gitarren, dann hier nochmal ’ne Akustikgitarre und hier nochmal ’n Klavier und ’n Effekt und dann kam nochmal ein Percussionist und wir so ,ach, komm, klopp erstmal rauf, und dann die Bläser auch noch rauf und dann sortieren wir hinterher‘. Und später dann so“ – er zieht auf der Bierbank imaginäre Mischpult-Regler hoch – „‚Ach du Scheiße, hier drunter ist auch noch was! Und hier! Und hier!'“
Alle drei räumen sie ein, mit ein entscheidender Beweggrund, ein Doppelalbum (das zum Preis eines einfachen in die Läden kommen wird, Punkerehrensache) zu machen, sei ganz einfach die Tatsache gewesen, dass Die Ärzte noch nie einen Studio-Doppler veröffentlicht hätten. „Wir sind Komplettisten. Wir wollen halt den ganzen Schwachsinn mal gemacht haben“, sagt Farin. Natüüürlich, sind sie sich auch einig, wäre kein Doppler erzwungen worden, wenn nicht genügend Qualitätssongs für den Anspruch „Keine Füllsel!“ zur Verfügung gestanden hätten. Aber unter den gegebenen Umständen … etc.pp. Und man muss ihnen beipflichten: Geräusch hat auf knapp 93 Minuten wirklich auffallend wenige Längen.
Anteil an diesem Umstand hatte mehr denn je auch Rod Gonzalez. Wenn Farin und Bela die Mick’n’Keef des Deutschpunk sind, dann ist Rod der dazugehörige Ron Wood: Mittlerweile zwei Drittel der Bandgeschichte mit von der Partie und irgendwie noch immer der ein wenig maskottchenhafte (eine Ärzte-Bassisten-Tradition; vgl. The Incredible Hagen) Ewige Neue. Doch hier muss man den Vergleich nun endgültig einschläfern: Geräusch ist – neben ein paar anderen Dingen – die Offenbarung des Rodrigo Gonzalez als Liederschmied. Fünf der vor allem musikalisch-kompositorisch überzeugendsten Songs auf dem Album stammen aus seiner Feder. Den kreativen Schub, schätzt Farin, hat dem Gitarristen/Bassisten/Pianisten sein „Coming out“ als maßgeblicher Arrangeur und Orchestrator der „Unplugged“-Session letztes Jahr gegeben. „Rod ist der einzige Notist von uns und da haben wir gesagt: Du hast dich bisher oft so zurückgenommen. Jetzt mach mal!“
Rod selbst schwärmt davon, wie ein vor zwei Jahren angeschafftes Klavier ihm kompositorisch „die totale Befreiung!“ verschafft habe. „Als Gitarrist ist man harmonisch doch eher eingeschränkt. Mit dem Klavier dachte ich nur immer: Wah! Wie abgefahren!“ Formelle Ausbildung an den Tasten hat er keine, was er bereue, aber er sieht sich mittlerweile auf dem Niveau eines „Pop-Pianisten, der sich so reinfuddeln kann“ und müht sich redlich mit Bachs „Wohltemperiertem Klavier“. Von Bach ist es für Rod ein kurzer Weg zu Bacharach, dessen Fähigkeit „Harmonien zu flechten und Akkorde zu legen“ er bewundert (er hat eine CD-Box, „diese weiße“).Und ein ebenso kurzer zu Glenn Danzig und den Misfits (er hat eine CD-Box, „die in Sarg-Form“), denen er – auch inspiriert von George A. Romeros Zombie-Klassiker „Dawn Of The Dead“ (er hat die DVD, „schlecht überspielt, aber ungeschnitten“) in seinem Powerchord-Brecher „Anti-Zombie“ ein Denkmal setzt. Die Ärzte-interne Metal-Achse mit Bela steht übrigens auch noch unbeschadet. „Rod! Rod!“ ruft der einmal aufgeregt von seinem Gartentisch, wo er sich gerade mit dem Fachmann vom „Hammer“-Magazin unterhält, auf die Terrasse herüber. „Seit zwei Wochen ist es offiziell: Rob Halford ist wieder bei Judas Priest!“ – „YESSS!“
Auffällig an Geräusch ist die fast völlige Abwesenheit Ärzte-typischer, lustvoll „skandalöser“ Geschmacksentgleisungen à la „Omaboy“, „Rock Rendezvous“ oder der 1999 noch einmal als Live-Single veröffentlichten alten „Elke“, bei gleichzeitiger Häufung politischer Themen in Songs wie „Nicht allein“, „Nicht Wissen“ oder „Die klügsten Männer der Welt“. Für erstere Beobachtung hat Rod eine lapidare Erklärung: „Es ist heute schwierig, das alles noch zu toppen. Sachen, die wir uns vor ein paar Jahren nicht mal in Interviews zu sagen getraut hätten, finden heute jeden Nachmittag sozusagen auf Breitbandkabel statt. „Werden die Ärzte ernster? „Es ist beängstigend“, grient Farin. Rod sei einmal mit einer Zeile aus seinem Song „Dinge, von denen“ zu ihm gekommen, „‚künstlicher Darmausgang, na schönen Dank.‘ Der hat sich echt Sorgen gemacht! Ob man das bringen könne? So pc sind wir mittlerweile.“
Vielleicht nicht politisch korrekt, wohl aber politisch seien sie schon immer gewesen, sagen sie, und Farin sieht „Schrei nach Liebe“, die Comeback-Single von 1993 weiterhin als „das Eleganteste“, was die Ärzte in dieser Richtung je gemacht hätten. Aber klar, „Felse und ich haben uns zu Anfang der Aufnahmen mal unterhalten und uns fast Sorgen gemacht, ob das jetzt unser ernstestes Album wird.“ Er wolle „auf keinen Fall enden so ‚welches heiße Eisen packen wir als nächstes an mit unseren Teflonhandschuhen?‘ Aber so ein bisschen steht uns ganz gut, find ich.“ Auch Bela, der von dem Thema Politik regelrecht beseelt wirkt („man kann kein unpolitisches Leben mehr führen“), davon spricht, wie das Thema Irak-Krieg „bei jedem Telefongespräch oder Band-Treffen präsent war“ und Michael Moore preist, ist sich bewusst, dass Die Ärzte sich da ein wenig von ihren Leisten wegbewegen. „Wir sind jetzt nicht plötzlich die Polit-Rockband“, wiegelt er ab. „Letztlich halten sich die Sachen auf der Platte die Waage.“ Oder mit Farin: „Es fällt nicht so auf, weil immer noch genug Schwachsinn auftaucht.“
Apropos Schwachsinn, den man gemacht haben sollte: Jede anständige Rockband hat ja heutzutage ihren eigenen Film. Also, äh, Kiss auf jeden Fall. Wie sehen denn die Komplettisten dieses Thema? Es kreisen da ja halbwilde Gerüchte. Ärzte-Artworker Schwarwel und „noch ein paar Menschen“ schrieben seit einiger Zeit an „Treatments, die sie uns dann vorlegen können“, bestätigt Farin freimütig, und man sei durchaus interessiert, sollte etwas Brauchbares dabei rumkommen. Eine allzu drängende Priorität, so scheint es, hat die Chose aber nicht, und einem abendfüllenden Ärzte-Film könnte dann immer noch ein langes Dasein in der Projekt-Warteschleife bevorstehen, denn: „Eins ist sicher: Dass wir die Kontrolle niemals abgeben werden.“ So schwierig sich das bei Händeln im Filmgeschärt, wo mit großem Geld hantiert wird, wird durchziehen lassen: Das „niemals“ kann man in diesem speziellen Fall gleich noch zweimal unterstreichen, denn in Sachen Film sind die Ärzte – und vor allem wieder Farin Urlaub – nicht nur gebrannte, sondern regelrecht traumatisierte Kinder. Schuld ist ein Lapsus aus frühen Tagen, als sich Farin und Bela zur Mitwirkung an einer schrottigen Spat-NDW-Billig-Schnellschuss-Produktion breitschlagen ließen, allein an die erinnert zu werden dem Arzt regelrechte physische Schmerzen (hier: keine Koketterie, sondern handfeste Scham) zu bereiten scheint. Weswegen er auch die Erwähnung des Titels meidet wie die „Harry Potter“-Typen ihren Voldemort. „Wir müssen gar nicht darüber reden!“, wehrt er präventiv ab. (Flüster: Es handelt sich um den Film „Richy Guitar“, und sollten Sie Farin Urlaub und sich selbst einen Gefallen tun wollen, dann schauen Sie ihn sich nie, nie, nie an). Es dürfte hier also nichts übers Knie gebrochen werden, und schließlich ist da eben noch die Sache mit dem Großgeld, für das momentan noch der Geber fehlt. Farin: „Die Frage ist: Wer soll den Scheiß bezahlen? So viel Geld haben nämlich noch nicht mal wir, um so einen Film zu bezahlen. Weil wenn, dann muss es da natürlich auch brennen und explodieren, machen wir uns nichts vor. „Sollte es aber jemals so weit kommen, sei er bereit: „Dann würd ich’s noch einmal versuchen, mein katastrophales Overacting vor der Kamera auszuleben.“
2003, es ist Deutschpop-Boom, Leute. Da muss man zu guter Letzt natürlich die Ärzte, die seit Menschengedenken als Vergleich mit jeder neuen Band herhalten müssen, die ansatzweise spaßhaltige deutsche Texte fabriziert (damit diese Vergleiche dann von beiden Seiten jeweils für absolut haltlos erklärt werden können), fragen, was sie von Wir Sind Helden halten. Dann sagt Farin, dass er von denen „ein paar Sachen ganz schön, ein paar auch superlangweilig“ findet, während sich Rod von den meisten der neuen Bands aus dieser Ecke an die Zeit erinnert fühlt, als er zusammen mit seinen Punkerkumpels Markus mit Tomaten bewarf (“ ,Kleine Taschenlampe, brenn!‘ Wir haben alles geworfen, was beim Obst-und-Gemüse-Türken noch verfault zu haben war“). Jürgen Teipels Buch „Verschwende deine Jugend“, das vielleicht nicht Auslöser des, aber doch Prolog zum momentanen NDW-Revival war, hat Farin gelesen und „sehr genossen. Den DAF-Satz ‚Verschwende deine Jugend solange es noch geht‘ hatte ich jahrelang als Punk auf meiner Lederjacke stehen. „Trotzdem – oder gerade deswegen – hat sich der alte Verehrer von Peter Hein die letztjährige Fehlfarben-Reunion-Platte nie angehört. „Ich hab 91 noch die Platte des himmlischen Friedens gehört und daraufhin beschlossen, mir jetzt die neue nicht mehr anzuhören. Hat mich Überwindung gekostet, aber ich hab einfach zu große Angst, enttäuscht zu werden.“
Statt mit einer der neuen Deutschpopsensationen kommen die Ärzte im Dezember mit Fettes Brot als Support auf Tour durch große Hallen. Im Frühjahr 2004 geht’s dann kleiner weiter, bevor im Juni drei Konzerte in der 18.000 Menschen fassenden Berliner Wuhlheide den Höhepunkt bilden. Im Vorprogramm dann: die waschechten Village People. Ist da denn nicht einer gestorben? Ja, aber den haben sie durch zwei neue ersetzt“, sagt Farin Urlaub. Er grinst bei dem Thema jetzt sogar noch mehr. „Die kosten ein Schweinegeld, aber wir haben gesagt: Wenn schon die Kings Of Disco, dann richtig „Da haben sich ja zwei Häuser gefunden. Wie gesagt: Es gibt noch eine ganze Menge Schwachsinn da draußen. Und irgendjemand muss ihn schließlich wegarbeiten.
P.S.: keine Entwarnung für Ärzte-Nichtmöger. Am Ende erzählt Farin von dem grandiosen Titelvorschlag, den Bela für das aktuelle Album angeschleppt habe. „Der war dann aber geschützt, von einem Verlag. Und gerade, als das Artwork für GERÄUSCH fertig war, riefen die an: Sie hätten es sich überlegt, wir könnten den Titelhaben. Drum kann ich ihn jetzt auch nicht verraten: Wir heben ihn für die nächste Platte auf.“ Doh!
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