Pop Art
Die Pop-Kolumne von Dirk Peitz
Berlin hat nur sich selbst und die Lieder, die es verdient
iTunes-Singlecharts,
19. Juli 2011, Platz 20: Sido & Mario Barth, „Ick liebe dir“
Berlin nervt ja höllisch. Vor allem, wenn man da wohnt. Und sich andauernd das Berlin-Geseier anhören muss: Wer jetzt wieder von Mitte nach Neukölln gezogen ist (Übersetzung für Restdeutsche: innerstädtische Fluchtbewegungen vor Touristenhorden, also – vor euch und den Spaniern, den Skandinaviern und den Amis); dass in Neukölln doch tatsächlich zum ersten Mal ein Biosupermarkt einen Dönerladen weggemobbt hat (Übersetzung für Restdeutsche: Gentrification erkennt man in Berlin daran, dass der Fraß nicht besser, aber gesünder wird); warum Kreuzberg das neue Schöneberg ist und Schöneberg das neue Mitte und Mitte das neue Charlottenburg und Charlottenburg das neue Pankow und immer, immer, immer so weiter (Übersetzung für Restdeutsche: Berlin hat reichlich Bezirke).
Hätte der Berliner Berlin nicht, er hätte nichts zu reden. Er säße da, starrte in die Luftluftluft, denn er hat ja Zeit, unendlich viel Zeit, der Berliner – und fiele irgendwann aus lauter Begeisterung über sich selbst und seine Stadt: einfach tot um.
Aber wer darf sich überhaupt so nennen: Berliner? Ist auch schon wieder so eine Frage, über die der Berliner endlos labern kann. Oder halbe Liedtexte schreiben. Der Rest des Textes handelt dann meistens davon, wie geil Berlin ist, wie geil man da Party machen kann, wie geil die Mädchen und die Drogen und die Nächte sind, wie geil geil echt alles an Berlin ist.
So ungefähr geht dann auch das Lied „Ick liebe dir“ von Sido und Mario Barth. Es sagt im Grunde: nichts. Es möchte – der Titel legt das nahe, der Text vermag es sprachlich aber nicht recht auszudrücken – offenbar Zuneigung bezeugen zu einer Stadt, die in den vergangenen Jahren mit derart viel falscher Sentimentalität besungen wurde, dass daraus schon ein eigenes Genre geworden ist. Gäbe es noch Plattenläden, das zugehörige Fach wäre vermutlich beschriftet mit: „Peter Fox und weiterer Berlinscheiß“.
Andere deutsche Städte haben den Karneval und sein schlimmes Liedgut oder wenigstens einen halbwegs anständigen Fußballclub mit brüllbarer Vereinshymne. Berlin hat nur sich selbst. Und die Berliner. Und deshalb eben die Lieder, die es verdient.
P.S.: Gerade mal wieder umgezogen, von Mitte nach Mitte. Super, klar, total geil und so.