Pop Art
Die Pop-Kolumne von Dirk Peitz
iTunes Single Charts, 11. April 2011: Sunrise Avenue, „Hollywood Hills“
Man fragt beim Nachdenken über Musik zu selten nach Träumen. Denen, die jemand in einen Liedtext geschrieben hat, vor allem aber denen der Zuhörer. Die etwas darin wiederzuerkennen glauben, was sie selbst betrifft; was ihre Erfahrungen, Meinungen, aber eben auch Sehnsüchte spiegelt. Ein Lied kann immer eine Traummaschine sein, in die oben einer einen Traum reingetan hat und dazu Musik als Gefühlsverstärker, und je mehr Menschen das Lied dann kaufen, umso allgemeingültiger müsste der mitgelieferte Traum sein oder werden.
Welchen aber hat wohl so eine finnische Band noch, die ein gutes Jahrzehnt schon Rockmusik einer Art veröffentlicht, die weder originell ist noch innovativ noch sonst wie bemerkenswert, außer dass sie sich eben ganz gut verkauft? Sunrise Avenue heißt die Band und „Hollywood Hills“ ihr Lied, in dem es darum geht, dass sich ein Mann von den titelgebenden Hügeln Hollywoods verabschiedet. Was genau dort passiert sein mag, verrät er nicht, und er bleibt auch seltsam widersprüchlich in seiner Wiederkehrbereitschaft: „I’m gonna come back to walk these streets again, bye-bye, Hollywood Hills – forever.“
Man fragt sich unwillkürlich: Träumt wer echt noch von Hollywood und wofür es in diesem Lied metaphorisch stehen soll? Und beim Betrachten des zugehörigen Videos überdies: Waren diese Finnen eigentlich je dort? Denn die Band steht im Video unzweifelhaft in der ehemaligen Abflughalle des stillgelegten Flughafens Berlin-Tempelhof, und selbst wer mit Architektur nicht vertraut ist, wird an den Hinweisschildern „Ausgang / Exit“ unschwer erkennen, dass das unmöglich LAX sein kann. Im letzten Bild sieht man Sunrise Avenue, wie sie unterm mächtigen Vordach des Flugfelds schlendern, in Richtung von was auch immer, denn Flugzeuge warten da ja nun nicht mehr. Höchstens ein Controller der Plattenfirma, der sagt: „Hey, das Budget hat vielleicht nicht für L.A. gereicht, dafür ist Berlin nicht so weit weg von Helsinki, und wer will schon nach L.A.?“
Doch dann erinnert man sich des Umstands, dass es noch nie wichtig war für Musik, ob wahr ist, wovon jemand singt; nur dass er und genügend andere es für wahrhaftig halten. Es geht immer wieder bloß darum, sich und den anderen was vorzuspielen. Deshalb wird aus „Hollywood Hills“ zwar kein gutes Lied. Doch man kann den Menschen selbst die ausgeträumtesten Träume einfach nicht verbieten.