Wolfram
Was Tarantino für Travolta, was Andy Butler für Disco war, das soll jetzt ein Österreicher für Eurodance sein. Einer, der Gold aus Trash macht. Doch in Wolframs Vokabular ist kein Platz für Trash.
Eine Ohrfeige gibt den Ausschlag: Der pubertierende Kärntner Wolfram Eckert versucht den Rahmen eines Heiligen Abends im Familienkreis aufzulockern und übt sich anhand einer „Stille Nacht“-Aufnahme auf dem elterlichen Plattenspieler im Scratchen. Zum ersten und einzigen Mal landet daraufhin des Vaters Hand in seinem Gesicht. Die Mutter verschwindet in der Küche, der Vater dreht beschämt eine Runde um den Block. Wolfram eilt ihm hinterher, vor der heimischen Haustür kommt es zur tränenreichen Aussöhnung der beiden. Ein Jahr später findet Wolfram seine ersten DJ-Turntables auf dem Gabentisch.
Es folgt eine Karriere, die nicht weiter weg von den realistischen Hoffnungen eines in der südösterreichischen Provinz aufwachsenden Jungen liegen könnte: 2004 zeigt sich die Wiener Elektro-Größe Patrick Pulsinger so beeindruckt von der Unbekümmertheit, mit der der mittlerweile zum Szene-DJ gewordene Wolfram Italo Disco auflegt, dass er ihn zu einem DJ-Trip nach New York einlädt. Der Trip dauert ein halbes Jahr. In dieser Zeit lernt Wolfram Lady Gaga kennen, freundet sich mit Moby und Andy Butler von Hercules & Love Affair an. 2006 wählt die in Geschmacksfragen online tonangebende Plattform „Pitchfork“ den von Wolfram co-produzierten Song „I’ll Be By Your Side“ des schwedischen Discoprojekts Sally Shapiro unter die 30 besten Songs des Jahres. 2011 ist Wolfram gerade mal 28 Jahre alt.
Das muss ein schweinecooler Typ sein, bei dieser Vita, bei diesen Featurings, die ihn auf seinem nun erscheinenden Debüt Wolfram unterstützen: Hercules & Love Affair, Holy Ghost!, Hi-NRG-Legende Paul Parker und und und … und Haddaway.
Ein solcher, für künstlerischen Wert nun wirklich nicht bekannter Gaststar birgt die Gefahr, in die Trash-Ecke geschoben zu werden. Aber Trash existiert für Wolfram „sowieso nicht. Man kann aus jedem Genre Freude ziehen – auch aus Eurodance. Wobei ich es schon komisch finde, dass mir überall nachgesagt wird, ich würde Eurodance machen; ich arbeite nur mit Versatzstücken daraus“, sagt der erfrischend unschweinecoole und sogar nervöse – es ist sein erstes Interview – Wolfram.
Seine Grundeinstellung, Grenzen zu verneinen und Hedonismus zum Ziel zu erklären, hat Wolfram sich in New York legitimieren lassen: „Da legen die besten DJs total übel auf, keiner beherrscht Übergänge. Aber den Leuten ist das egal, solange du alle drei Minuten eine neue geile Nummer auflegst. Wäre ich immer in Österreich geblieben, wäre ich heute wahrscheinlich ein technisch besserer DJ. Aber darum geht es nicht. Musik muss Spaß machen!“
CD im ME 3/11, Albumkritik ME 4/11
* 2009 bestreitet Wolfram die Aftershow von Marc Jacobs Fashion-Week-Party in New York. Vor ihm spielt Lady Gaga drei Songs am Flügel. Als ihr das Gemurmel im Publikum zu laut wird, haut sie in die Tasten und brüllt: „Ihr haltet jetzt die Schnauze oder ich gehe nach Hause!“
* In all seine DJ-Sets baut Wolfram Eurodance-Nummern ein. „Bei ‚Mr. Vain‘ und ‚Rhythm Is A Dancer‘ handle ich mir immer einen Stinkefinger ein“, sagt er. „Nur bei Haddaway beschwert sich nie jemand.“